Tod in Breslau
früher oder später wärest du sowieso
hier gelandet. Das behauptet jedenfalls Doktor Bennert.
Aber der Grund, warum ich dich zum Mord an dem Ba-
ron angestiftet habe, war ganz einfach der, dass ich dich
isolieren musste.« Das war gelogen. Denn Mock hatte
auch daran gedacht, den letzten Zeugen seiner Vergan-
genheit als Freimaurer aus dem Weg zu räumen. »Ich ha-
be nicht geglaubt, dass du den Yeziden entkommst. Aber
ich habe gewusst, dass du im Gefängnis in Sicherheit sein
würdest. Und ich habe auch gewusst, was zu tun war,
damit dein Urteil milde ausfiel. Ich dachte, Anwaldt wird
hinter den Gefängnismauern gut aufgehoben sein, und
währenddessen habe ich Zeit, um diesen Erkin zu
schnappen. Die Hinrichtung Erkins schien ja der einzige
Weg, um dein Leben zu retten.«
»Und? Hast du ihn hinrichten können?«
»Ja, das kann man wohl so nennen. Es gibt ihn nicht
mehr, nur der alte Yezide hat gedacht, dass er noch im-
mer hinter dir her sei. Zumindest bis vor kurzem glaubte
er das, dann hat er einen neuen Rächer geschickt – den
nun allerdings ebenfalls ein schreckliches Schicksal ereilt hat … er liegt in deinem Zimmer in der Dresdner Klinik
von Doktor Bennert. Und wieder hast du ein wenig Zeit
gewonnen …«
349
»Gut, für diesmal hast du mich vor dem Tod bewahrt.«
Anwaldt setzte sich erneut auf und trank die Bouillon
aus. »Doch der nächste Yezide wird bestimmt bald auf-
tauchen … Und er wird entweder Forstner oder Maass
antreffen …«
»Forstner wird ihm nichts mehr verraten. Unser lieber
Max hatte einen schrecklichen Unfall – er wurde in ei-
nem Paternoster zerquetscht …« Plötzlich wurde Mocks
Gesicht noch röter, nur seine Narben blieben blass. »Was
glaubst du eigentlich?! Ich beschütze dich, so gut es geht, und du hörst nicht auf, an diesen verdammten Fluch zu
denken. Wenn du nicht mehr weiterleben willst, bitte:
Hier hast du eine Pistole, erschieß dich! Aber bitte nicht hier, weil mir nämlich nicht passen würde, wenn du mich
damit als Stasi-Spitzel verrätst, der sich hier versteckt …
Was glaubst du, warum ich dich beschütze?«
Darauf wusste Anwaldt keine Antwort. Mock hatte ihn
beinahe angeschrien, was Anwaldt jedoch noch nie einge-
schüchtert hatte: »Und du, was ist mit dir passiert? Wie
bist du denn zur Stasi gekommen?«
»Diebe haben schon immer gerne höhere Beamte der
Abwehr bei sich aufgenommen – und das war ich ja seit
1934. Aber davon habe ich dir doch schon bei meinen
Besuchen in Dresden erzählt.«
»Verdammt, ich habe wohl lange in Dresden geses-
sen.« Anwaldt lächelte bitter.
»Ja, denn all die Jahre hat es keine Möglichkeit gege-
ben, dich an einen anderen sicheren Ort zu bringen …
Ich habe von Bennert erfahren, dass du die Krankheit
jetzt überwunden hast …«
350
Anwaldt stand so hastig auf, dass er die Bouillontasse
umstieß.
»Bennert! Ich habe gar nicht mehr an ihn gedacht. Er
weiß schließlich auch alles über mich.«
»Reg dich nicht auf!« Eine stoische Ruhe ging von
Mocks Gesicht aus. »Von Bennert wird niemand auch
nur ein Sterbenswörtchen erfahren. Er schuldet mir eini-
gen Dank, denn ich habe seine Tochter damals in Dres-
den aus den brennenden Trümmern gerettet. Davon habe
ich sogar ein Andenken zurückbehalten.« Er berührte
sein Gesicht. »Eine Fliegerbombe ist explodiert, und ein
Stück brennender Dachpappe hat mir den Schädel ein
bisschen versengt …«
Herbert streckte sich und schaute aus dem Fenster. Er
sah, wie draußen ein paar Polizisten einen Betrunkenen
hinter sich herschleppten – und ihm wurde übel vor
Angst.
»Mock, jetzt werden sie hinter mir her sein, weil sie
denken, ich hätte den Menschen umgebracht, der tot in
meinem Zimmer liegt!«
»Nein, dazu wird es nicht kommen. Denn morgen
wirst du mit mir in Amsterdam sein, und in einer Woche
sind wir in Amerika.« Mock war ganz Herr der Situation.
Er entnahm seiner Tasche einen Zettel, der mit Ziffern
bedeckt war.
»Das ist das chiffrierte Telegramm von General Fitzpa-
trick, einem hohen Beamten der CIA. Die Abwehr war so
etwas wie ein Passierschein zur Stasi, und die Stasi ist
jetzt so etwas wie der Passierschein zur CIA. Weißt du,
was in diesem Telegramm steht? Hiermit bekunde ich
351
mein Einverständnis bezüglich der Einreise Eberhard
Mocks und seines Sohnes in die USA.« Mock lachte laut
auf. »Da deine Papiere auf den Namen Anwaldt lauten
und wir keine Zeit mehr haben, neue Papiere zu
Weitere Kostenlose Bücher