Tod in der Königsburg
geworden.«
»Und du hast deinen Bruder in jüngster Zeit wiedergesehen?«
»Ja. Baoill hing Rom nun anscheinend noch fanatischer an, was auch verständlich ist, denn Ultán, der Comarb von Patrick, sein Abt und Bischof von Armagh, strebt die Ausdehnung dieser Ordnung auf alle fünf Königreiche an.«
»Ich kenne Ultáns Ehrgeiz, alle Kirchen der fünf Königreiche nach der Art Roms zu vereinigen, mit einem zentralen Oberhirten an der Spitze«, bestätigte Fidelma. »Aber das geht hier nicht, es widerspricht unserer Tradition. Ich vermute, du warst anderer Meinung als dein Bruder?«
»Du sagst es, Schwester. Ich glaube an die Traditionen unseres Volkes und nicht an diese neuen Ideen aus fremden Ländern.«
»Wie kam es, daß du deinem Bruder wieder begegnet bist?«
»Wie du vielleicht weißt, war ich vom
scriptor
zum Bewahrer der heiligen Reliquien Ailbes aufgestiegen. Ich brauche dir wohl nicht zu erklären, was diese Reliquien für dieses Königreich bedeuten?«
»Nein, das brauchst du wahrlich nicht«, meinte Fidelma.
»Nun, vor ein oder zwei Wochen kam ein Mann in dieAbtei und fragte nach mir. Er sah aus wie ein Berufskrieger. Groß, mit langem blondem Haar und . . .«
»Mit einem Bogen bewaffnet?« fiel Eadulf ein. »Ein Bogenschütze?«
Mochta nickte. »Ja. Er sah aus wie ein berufsmäßiger Bogenschütze. Er sagte, er brächte mir eine Botschaft von meinem Bruder Baoill, der sich mit mir treffen wolle. Er betonte, daß aus verschiedenen Gründen, die er nicht näher erläuterte, Baoill sich mit mir allein und insgeheim treffen wolle. Der Bogenschütze wohnte in Creds Herberge. Also ging ich hin. Zum Glück sah mich niemand dort, denn dem Pater Abt war dieser Ort zuwider. Sein Zorn wäre groß gewesen, wenn er erfahren hätte, daß ich dort jemanden besuchte. Cred, die Herbergswirtin, sagte mir, der Bogenschütze erwarte mich in einem Zimmer im oberen Stockwerk. Dort fand ich auch meinen Bruder Baoill. Nachdem wir uns begrüßt hatten, wie es zwei Brüder tun, die sich lange nicht gesehen haben, redeten wir über Politik – hauptsächlich über Kirchenpolitik. Dabei wurden mir seine Ansichten deutlich. Sobald er meine kannte, mied er plötzlich dieses Thema. Er war ein schlauer Bursche, mein Bruder. Er lenkte das Gespräch in eine andere Richtung, indem er sagte, er habe gehört, daß ich einer der Schreiber sei, die an den ›Annalen von Imleach‹ arbeiteten. Das bejahte ich. Er fragte mich, für welches Jahr ich die Gründung von Armagh ansetzte. Ich erklärte, daß ich sie in das Jahr unseres Herrn vierhundertvierundvierzig datierte. Weiter fragte er, für wann ich das Hinscheiden des heiligen Patrick verzeichnet habe. Ich nannte das Jahr unseres Herrn vierhundertundzweiundfünfzig. Diese Daten waren nicht strittig.
Erst als er sich nach den Lebensdaten des heiligen Ailbeund der Gründung von Imleach erkundigte, merkte ich, worauf er hinauswollte. Er erklärte mir, die Schreiber im Norden gingen davon aus, Ailbe hätte Imleach erst hundert Jahre nach dem Tod des heiligen Patrick gegründet.«
»Ich habe die Notizen gesehen, die du dir zu diesem Thema für die ›Annalen‹ gemacht hast«, sagte Fidelma und holte das Pergament aus ihrem Tragebeutel. Mochta warf einen Blick darauf und nickte.
»Ich bleibe bei dem, was ich geschrieben habe. Als ich Baoill darauf hinwies, es sei absurd, Ailbes Lebensdaten soviel später anzusetzen, denn er habe schon vor Patrick in Muman den Glauben verkündigt und mit Patrick zusammen den König von Muman – deinen Ahnherrn Oenghus Nad Froích – in Cashel getauft, begann sich Baoill wieder mit mir zu streiten.«
»Aber was hat dieses ganze Hickhack um Daten zu bedeuten?« fragte Eadulf, der dem Gespräch zu folgen versuchte, doch immer mehr durcheinandergeriet.
»Mein Bruder wollte mich überreden, Ailbe als nach Patrick kommend einzuordnen und niederzulegen, daß Ailbe und seine Anhänger Imleach erst gründeten, nachdem Armagh schon bestand. Er wollte sogar, ich solle behaupten, daß Ailbe nicht als Schutzpatron von Muman zu betrachten sei und Cashel die Bezeichnung ›Felsen Patricks‹ zu tragen habe. Ich sollte in meiner Chronik den Anspruch von Armagh unterstützen, es habe nach historischem Recht den Vorrang im Glauben in allen fünf Königreichen.«
Fidelma schaute düster drein. »Ich kenne den Ehrgeiz Ultáns von Armagh. Er ist nicht der erste Comarb von Patrick, der für Armagh die führende Stellung in allen fünf Königreichen beansprucht und
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