Tod in der Königsburg
plötzlich etwas eingefallen.
Fidelma sah ihn forschend an. »Was denn?«
»Ich erinnere mich, daß es einen Streit zwischen Finguine und Donndubháin gab, als dieser zu meinem Tanist gewählt wurde. Finguine galt als erster Anwärter, doch er scheint die Entscheidung akzeptiert zu haben. Damals war er zweifellos verärgert. Obwohl ich das nicht ganz verstehe. Finguine ist fast im selben Alter wie ich, und ich gedenke noch lange zu leben, also sind seine Aussichten, jemals König zu werden, ziemlich gering, auch wenn er mein Thronfolger wäre.« Colgú lächelte seine Schwester an: »Ich möchte noch langeKönig von Muman bleiben, allen Verschwörungen und Attentaten zum Trotz.«
»Dann«, meinte Fidelma ruhig, »habe ich noch viel zu tun, Bruder, damit das Urteil nicht gegen uns ausfällt.«
Nach der Mittagsmahlzeit suchte sie Eadulf auf, und beide machten einen Spaziergang auf der Palastmauer. Der Wind wehte kräftig von Süden, und es war kühl. Sie hatten sich in ihre Wollmäntel gehüllt und trotzten dem Eishauch des Winds auf den Zinnen.
»Anscheinend gibt es eine Menge Aufregung in Cashel«, bemerkte Eadulf, als sie auf die Stadt hinunterschauten. »Von allen Seiten strömen die Menschen herbei, um an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen. Wie ich hörte, stehen viele den Uí Fidgente seit dem Überfall auf Imleach und der Zerstörung des Eibenbaums recht feindselig gegenüber.«
Fidelma sah ihn besorgt an. »Hast du jemals
tomus
gespielt?« fragte sie.
Eadulf schüttelte den Kopf. »Davon habe ich noch nie etwas gehört«, versicherte er.
»Das Wort bedeutet ›heraussuchen‹ oder ›abwägen‹.
Tomus
nennen wir ein Spiel, bei dem man viele kleine Holzstücke so zusammensetzen muß, daß sie ein Bild ergeben.«
»Nein, dem bin ich noch nicht begegnet.«
»Macht nichts. Ich habe das Gefühl, daß alle Teile auf einem Tisch ausgebreitet vor mir liegen. Manche ergeben bereits ein Muster. Andere könnten hier- oder dorthin passen. Ich brauche noch ein einziges Stück, das zu allen anderen paßt, damit ein klares Bild entsteht.«
»Damit meinst du, daß du der Lösung des Rätsels sehr nahe bist?«
Fidelma seufzte tief auf. »So nahe . . . und doch . . .«
»Fidelma!«
Sie wandten sich nach dem Rufer um und standen Finguine gegenüber, der ihnen nachgekommen war. Er hatte sich ebenfalls gegen den Wind gewappnet, der um den Felsen von Cashel heulte: sein dicker, eingefärbter Wollmantel wurde am Hals von seiner silbernen Spange mit dem von Granatsteinen gezierten Sonnensymbol zusammengehalten.
»Ich bin froh, daß du wohlbehalten zurück bist. Hätte ich gewußt, daß du Imleach fast zur selben Zeit verläßt wie ich, hätte ich dir meinen Schutz angeboten.«
Fidelma sah ihren hübschen Vetter nachdenklich an und versuchte in seinem lächelnden Gesicht zu lesen.
»Ich wäre wahrscheinlich keine passende Gesellschaft für Solam gewesen«, meinte sie.
Er lachte mit entwaffnender Offenheit. »Solam? Hätte ich dieses kleine Frettchen nicht unter meine Fittiche genommen, wäre er womöglich nie hier angekommen. Hast du schon gehört, welcher Zorn auf die Uí Fidgente sich hier anstaut? Die Nachricht von dem Überfall auf Imleach hat sich rasch verbreitet. Die Zerstörung des heiligen Eibenbaums werden die Menschen hier den Uí Fidgente niemals vergeben.«
»Also sind alle überzeugt, daß es die Uí Fidgente waren?« forschte Fidelma. »Ich weiß nur, daß Nion, der
bó-aire
von Imleach, fest daran glaubt.«
Finguine runzelte die Stirn. »Nion? Ja, er ist sich sicher, daß es eine Verschwörung gibt . . . und zwar hier in Cashel.«
»Hat er dich deshalb begleitet?« fragte Fidelma harmlos.
»Du hast also Nion im Palast gesehen? Ja, deshalb ist er mitgekommen, damit er hier aussagen kann. Wenn er dastut, dann wird das denen, die Cashel an die Uí Fidgente verraten wollen, das Genick brechen.«
Fidelma wunderte sich über seinen eigenartigen Tonfall. Ihr schien, Finguine wolle ihr etwas andeuten.
»Bist du auch Nions Meinung?«
»Jeder ist das. Man erwartet von dir, daß du als
dálaigh
von Cashel in der Verhandlung den Fürsten der Uí Fidgente erledigst. Die Augen aller Adligen von Muman werden auf dir ruhen. Es wird eine beträchtliche Entschädigung gefordert, und durch diese Ersatzleistung stehen dann die Uí Fidgente für immer in unserer Schuld und können sich nicht mehr gegen uns erheben.«
»Das klingt eher nach Bestrafung als nach Entschädigung«, meinte Fidelma.
Finguines
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