Tod in der Königsburg
kommen?«
»Ich glaube nicht.«
»Versuchen wir es trotzdem.«
Langsam und so leise wie möglich gingen sie den Kreuzgang an einer Seite des Hofes entlang und bogen dann in den anderen ein. Sie hörten Solams etwas erhobene Stimme, konnten aber nichts verstehen.
Dann brach er plötzlich ab.
»Ich glaube, man hat uns gesehen«, murmelte Eadulf.
»Geh weiter, als bemerkten wir sie nicht«, sagte Fidelma leise. Sie schritt etwas schneller aus.
Als sie an die Ecke kamen und den anderen Gang überblicken konnten, waren die beiden Gestalten verschwunden. Solam war offensichtlich durch eine der nahen Türen ins Gästehaus gegangen. Von der anderen, davoneilenden Gestalt hörten sie noch das Klatschen der Ledersandalen auf den Steinen. Eadulf rannte los und spähte durch die steinernen Bögen über den Hof. Auf der gegenüberliegenden Seite knallte eine Tür zu.
In diesem Moment trat Abt Ségdae aus einer anderen Seitentür. Er blieb stehen, als er Eadulf erblickte, der nach seinem Lauf noch etwas nach Luft rang.
»Ich hörte eine Tür zuschlagen«, bemerkte der Abt mißbilligend.
Eadulfs Miene blieb unschuldig. »Ja. Ich glaube, ein Bruder hat den Hof eilig auf der anderen Seite verlassen.«
»Schande über ihn. Selbst in Eile hat ein Mitglied der Abtei nicht eine Tür zuzuschlagen und Gottes Frieden an dieser heiligen Stätte zu stören.«
Fidelma war herangekommen und hatte die Worte des Abts gehört.
»Manchmal vergißt man die Schicklichkeit im Bestreben, seine Aufgabe gut zu erfüllen, Ségdae«, meinte sie.
»Wenn ich den Schuldigen entdecke, erhält er eine Buße, die ihm eine Lehre sein wird«, brummte der Abt zornig und schritt davon.
»War es nicht Bruder Daig, der sagte, er sei nachts durch das Zuschlagen einer Tür geweckt worden?« fragte Fidelma. »Ich dachte, es sei unüblich für einen Mönch, mit der Tür zu knallen. Vielleicht war es in beiden Fällen derselbe?Schade, daß wir nicht wissen, wer mit Solam gesprochen hat.«
Eadulf lächelte selbstzufrieden.
»Wir wissen es doch.«
Fidelma sah ihn überrascht an.
»Hast du ihn erkannt? Dann sag’s mir!« rief sie ungeduldig.
»Der Mann drehte sich in der Tür halb um, als er sie schloß. In dem Moment stand er im vollen Licht. Es war Bruder Bardán.«
KAPITEL 15
Fidelma hatte Eadulf zu Abt Ségdae geschickt, um möglichst viel über Bruder Bardán in Erfahrung zu bringen, doch sollte er dem Abt nichts sagen, was bei Bardán den Verdacht erwecken könnte, er werde überprüft. Sie selbst machte sich auf die Suche nach dem
dálaigh
der Uí Fidgente.
Sie fand ihn schließlich in der
tech screpta,
der Bibliothek der Abtei. Imleach besaß eine der großen Bibliotheken im Lande mit mehr als zweihundert handgeschriebenen Büchern. Die meisten von ihnen lagen nicht in Regalen, sondern wurden in Ledertaschen aufbewahrt, die an Haken ringsum an den Wänden hingen. Jede Tasche enthielt einen handgeschriebenen Band. Eine Abteilung der Bibliothek beherbergte ein paar kunstvoll gearbeitete und wunderschön verzierte, ledergebundene und silberbeschlagene Werke. Für einige dieser wertvollen Stücke hatte man kleine Metallkästchen,
labor-chomet
oder Buchbehälter genannt, angefertigt. Dazu gehörten das »Bekenntnis Patricks«, die frühesten »Annalen von Imleach« und ein »Leben Ailbes«.
In der Bibliothek von Imleach gab es auch Plätze, an denen Schreiber arbeiten und studieren konnten. Als Fidelma eintrat, waren mehrere Mönche damit beschäftigt, Bücher zu kopieren. Sie saßen vor langen, dünnen, glatten rechteckigen Brettern, auf die das Pergament gespannt wurde. Es wurde aus den Häuten von Schafen, Ziegen oder Kälbern hergestellt. Die Schreiber verwendeten Tinte, die aus Kohle gemacht und in Kuhhörnern aufbewahrt wurde, und schrieben mit Gänse-, Schwanen- oder sogar Krähenfedern.
Einige wenige der Schreiber lasen auch aus den
flesc filidh,
den Stäben der Dichter, die aus Eibenholz oder Apfelbaumholz gefertigt wurden und auf denen Texte in Ogham, dem alten irischen Alphabet, eingeritzt waren.
Fidelma genoß einen Augenblick die Atmosphäre des großen Bibliotheksraums der Abtei. Sie hielt sich gern in Bibliotheken auf; sie fühlte sich darin sowohl mit der Vergangenheit wie auch mit der Zukunft verbunden, denn hier wurde in der Gegenwart das Wissen der Vergangenheit von den Schreibern in die Zukunft übertragen. Jede Bibliothek, die sie betrat, erfüllte sie mit einem kindlichen Staunen.
Sie erblickte Solam sofort; er saß abseits
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