Tod in der Königsburg
ausgegangen ist, wie du behauptet hast.«
»Da bist du falsch unterrichtet worden, Solam«, konterte Fidelma. »Ich habe nichts behauptet. Du hast die Pflichten eines
dálaigh
erwähnt. Es ist auch meine Pflicht, Tatsachen zu sammeln und sie den Brehons vorzulegen. Andere Leute haben Behauptungen aufgestellt, nicht ich. Ich werde weiter nach der Wahrheit suchen, bis ich sicher bin, daß ich sie gefunden habe.«
»Ich meine, daß die Wahrheit viel näher bei Cashel liegt, als du denkst«, entgegnete der Anwalt der Uí Fidgente. Plötzlich beugte er sich über den Tisch vor und blickte ihr gerade ins Gesicht. Mit monotoner Stimme, kaum lauter alsim Flüsterton, sagte er: »Ich glaube, dein Bruder hat vor, die Uí Fidgente zu vernichten. Er will den Sieg vollenden, den er im vorigen Jahr bei Cnoc Áine errang, als unser König Eóganán fiel. Welchen besseren Vorwand könnte er für unsere Vernichtung finden als die Behauptung, unser Fürst Donennach sei in eine Verschwörung verwickelt, ihn aus Rache zu ermorden? Wenn er den Leuten das einreden kann, dann helfen sie ihm, die Uí Fidgente zu vernichten. Nun, ich werde die Wahrheit verkünden – und die Wahrheit ist, daß dein Bruder Colgú hinter dieser Verschwörung steckt!«
Trotzig lehnte sich Solam zurück und verschränkte die Arme.
Fidelma schwieg einen Moment und gestattete sich dann ein leichtes Lächeln. Traurig schüttelte sie den Kopf.
»Deine Gerichtssaal-Taktik ist ausgezeichnet, Solam. Allerdings wäre es besser, wenn du sie dir für die Verhandlung aufheben würdest. Und denke daran, Brehons halten sich an Tatsachen, nicht an Vermutungen.«
Mit hochrotem Gesicht sprang Solam auf. Fidelmas hatte offenkundig recht, wenn sie ihn als reizbar und nervös einschätzte. Diese seine Eigenschaften könnten eine Waffe in ihren Händen werden, wenn sie ihre Sache vor den Brehons vertrat. Einen Moment glaubte Fidelma, Solams Wut würde sich in einem Zornesausbruch Luft machen, doch da hatte sich der kleine
dálaigh
schon wieder in der Gewalt.
»Das werden wir ja sehen«, knurrte er und stürmte aus dem Bibliothekssaal. Ein oder zwei Schreiber sahen bei seinem lauten Abgang von ihren Büchern auf.
Der Hauptbibliothekar erhob sich und eilte mit verärgerter Miene auf Fidelma zu.
»Der Uí Fidgente hat sein Buch nicht zurückgebracht«,erklärte er. Das Buch, in dem Solam gelesen hatte, lag noch auf dem Tisch. »Ich vermute, er ist fertig damit?«
»Davon gehe ich aus«, antwortete Fidelma.
Der Bibliothekar nahm den kleinen ledergebundenen Band in die Hand. Plötzlich ergriff Fidelma seinen Arm.
»Einen Augenblick.«
Sie drehte das Buch um, so daß sie den Titel erkennen konnte. Es war ein »Leben Ailbes«. Nachdenklich gab sie es dem Bibliothekar zurück.
Fidelma fand Abt Ségdae zusammen mit Eadulf in seinem Zimmer. Beide blickten überrascht auf, als sie eintrat.
»Woher konnte Bruder Bardán wissen, daß ich dir die Zeichnung des Kruzifixes gezeigt hatte, das bei einem der toten Attentäter in Cashel gefunden wurde? Und woher wußte er, daß es eine der fehlenden Reliquien Ailbes war?« fragte sie ohne jede Einleitung.
Der falkengesichtige alte Abt blinzelte.
»Ich habe es ihm nicht gesagt«, wehrte er ab. »Aber es ist kein Geheimnis, daß die Reliquien und Bruder Mochta verschwunden sind, Fidelma.«
»Doch niemand konnte wissen, daß das Kruzifix bei der Leiche des Attentäters entdeckt wurde.«
Der Abt breitete die Hände aus.
»Ich dachte nicht, daß das für die leitenden Mönche der Abtei ein Geheimnis bleiben sollte. Die Reliquien sind unser aller Sorge. Schließlich sind wir das Hauptkloster des Königreichs. Hierher kommen die Eóghanacht-Könige und legen am uralten Eibenbaum ihren Amtseid ab. Warum sollten wir es da geheimhalten?«
»Ich mache dir keine Vorwürfe, Ségdae«, versicherte ihm Fidelma. »Aber sag mir, wem gegenüber hast du es erwähnt?«
»Ich habe es Bruder Madagan erzählt, er ist schließlich der Verwalter der Abtei.«
»Und Bruder Bardán? Hat man es ihm gesagt?«
»Die Abtei bildet eine geschlossene Gesellschaft. Neuigkeiten verbreiten sich schnell. Vor den Brüdern und Schwestern im Glauben kann man nichts geheimhalten.«
Fidelma seufzte innerlich. Damit hatte der Abt natürlich recht.
Ségdae blickte sichtlich besorgt von Fidelma zu Eadulf.
»Warum nennt ihr beide Bruder Bardán?« fragte er. »Bru der Eadulf hat sich auch nach ihm erkundigt. Habt ihr irgendeinen Verdacht gegen ihn?«
»Ich habe dem Pater
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