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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Avanzini
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zu machen, dass sie aus dem Plastikring schlüpfen konnte. Zuerst rechts. »Sind das deine Vorbilder? Wagner und Nietzsche? Sie waren zwar Genies auf ihrem Gebiet, aber menschlich eher unbegabt. Wagner hat seine Mitmenschen in den Wahnsinn getrieben, Nietzsche sich selbst. Dennoch haben sie niemanden umgebracht, soviel ich weiß.« Vera legte alle Finger ihrer Rechten so eng wie möglich aneinander, den Daumen klappte sie ein. Dann drehte sie das Handgelenk. Millimeter für Millimeter schabte die Fessel über die Haut. An den Fingergrundgelenken war Veras Hand am breitesten, dort ging nichts mehr.
    »Was ist schon dabei? Was ist so ein kleines, unbedeutendes Menschenleben wert im Vergleich zu einem unsterblichen Kunstwerk? Der Tod ist nur ein Übergang. Eine Metamorphose. Eine Raupe verpuppt sich und wird zum Schmetterling. Ein Mensch verlässt seine sterbliche Hülle und wird Teil eines unsterblichen Gesamtkunstwerks.«
    »Du hältst dich also für ein Genie? Für eine große Künstlerin, der alles erlaubt ist?« Vera drehte und zerrte, bis die Haut aufplatzte. Es brannte höllisch. Warme Flüssigkeit rieselte über die Finger. Ihr eigenes Blut. Es machte die Sache geschmeidiger. Sie durfte nur nicht warten, bis die Hand anschwoll und dicker wurde. »Ich sage dir, was du bist: ein Tier. Nein, weniger als das. Tiere töten, weil sie Hunger haben. Du bist nur eine Sadistin. Eine Wahnsinnige.«
    Vera biss die Zähne zusammen. Sie konnte nur hoffen, dass man ihrem Gesicht die Anstrengung nicht ansah. Unter Aufbietung ihrer ganzen Willenskraft gelang es ihr, aus dem Kunststoffring zu schlüpfen. Fast hätte sie sich verraten und ihr rechter Arm wäre im Schwung seiner plötzlich gewonnenen Freiheit nach vorn gependelt. Im letzten Moment konnte sie die Stuhllehne ergreifen und ihre Position beibehalten.
    Mettes Augen waren auf Roberts Rücken gerichtet, sie hatte nichts bemerkt.
    »Die meisten Menschen sind vollkommen verweichlicht. Sie fürchten den Tod und die Schmerzen, die damit einhergehen. Doch Kunst – wahre Kunst – ist seit jeher mit Schmerz und Leid verbunden«, sagte Mette.
    Nun die linke Hand. Millimeter für Millimeter drehte Vera sie aus ihrer Fessel. »Da musst du etwas falsch verstanden haben. Wenn Kunst mit Leiden verknüpft ist, dann mit dem Leiden der Künstler. Chopin litt an Heimweh, Tuberkulose und tausend Ängsten, Schubert an Armut und Syphilis. Und Beethoven musste gegen seine fortschreitende Taubheit ankämpfen. An diesen Schmerzen und Entbehrungen sind sie menschlich gereift, das ist in ihre Werke eingeflossen.« Ihr Daumen verkrampfte sich. Sie musste locker bleiben. »Was du hier machst, ist einfach krank. Es ist ebenso wenig Kunst, wie wenn ein Kind einer Fliege die Beine ausreißt.«
    »Erinnerst du dich an die Zugabe, die ich bei meinem Klavierabend gespielt habe? Das war mein erster Versuch. Ich habe diese Komposition in den Körper meiner Tante geritzt. Du warst davon begeistert, Vera. Glaubst du, sie wäre halb so inspiriert ausgefallen, hätte ich sie auf Papier geschrieben? Und dabei halte ich dieses Werk für verpatzt. Denn meine Tante war alt und faltig. Und sie war schon tot, als ich sie beschriftet habe.« Sie leckte sich die Lippen. »Erst mit Briguglia habe ich meine Gesellenprüfung abgelegt, mit Sofronsky Meisterschaft erreicht. Und mit meiner Mutter bin ich noch einen Schritt weitergegangen auf dem Weg zur Perfektion.«
    Vera hatte es fast geschafft. Ein paar Millimeter noch, dann war die dickste Stelle ihrer Linken hindurch.
    Frag weiter, lenk sie ab.
    »Warum Luca? Du kanntest ihn doch kaum.«
    »Als ich ihn nach meinem Konzert sah, wusste ich: Der ist es. Ich habe mich in seine Haut verguckt, wenn du so willst. Diese makellose olivfarbene Haut. Sie hat mich inspiriert.«
    Mette blickte schwärmerisch durch Vera hindurch. »Sofronskys Haut war lange nicht so schön. Aber er war das perfekte Opfer. Ich habe ihn angerufen und gesagt, ich hätte mich in ihn verliebt und könnte nicht mehr schlafen vor Sehnsucht.« Sie lachte hysterisch auf. »Er war sofort bereit, sich mit mir zu treffen. Du hättest die Geilheit in seinen Augen sehen sollen.« Sie schnaubte. »Letztlich habe ich ihn vom Diktat seines Körpers erlöst.«
    Ein letzter Ruck und Veras Linke war frei. Sie bewegte die Finger, ballte die Fäuste; holte tief Luft und atmete in den Schmerz der brennenden Handgelenke hinein.
    »Und warum Robert?«
    »Er ist mir zufällig über den Weg gelaufen. Musste unbedingt den

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