Tod in Kreuzberg
Ülcan nicht aufpasste und seinen Hintern nicht hochbekam. Fuck you stand da in krakeliger Sprayschrift. Matti überhörte Ülcans Gemecker, knallte die Bürotür zu, schwang sich auf sein Damenfahrrad und radelte gemächlich los.
Am U-Bahnhof Boddinstraße kaufte er ein Sechserpack Astra Pils. Als er die Treppen in der Okerstraße 34c hochgestiegen war, ahnte er schon vor der Haustür die Vorzeichen der Katastrophe. Irgendetwas war anders. Er schloss die Tür auf und hörte nichts. Kein Geklapper in der Küche, kein Reden, kein Geräusch aus dem Badezimmer, nichts. Und doch wusste er, dass seine Freunde da waren. Dornröschen zieht aus, dachte Matti. Ihm wurde übel. Er blieb stehen und spürte, wie er zu schwitzen begann. Dann ein Rascheln in der Küche. Matti schlich sich fast an. Als er in die Küche kam, saßen Dornröschen und Twiggy am Tisch. Darauf lag aufgeschlagen ein Telefonbuch. Twiggy wendete sein Gesicht wie in Trance Matti zu. Dornröschen starrte irgendwohin.
»Robbi«, sagte Twiggy. »Robbi.«
Schlimme Gedanken schossen durch Mattis Hirn. Der Kater aus dem Fenster gestürzt, erstickt, in der Waschmaschine zu Tode geschleudert, in der Badewanne ertrunken, Nachhall von Twiggys Ermahnungen. Und bloß keine Fenster kippen, die Katzenfalle Nummer eins!
»Er verliert Haare«, sagte Twiggy.
Matti verstand erst nicht. Er blickte auf den Boden und sah schwarz-weiße Fellhaarbüschel. Er stellte den Sechserpack auf den Tisch. »Wo ist er?«
Twiggy deutete zu seinem Zimmer. Und vor Mattis innerem Auge erschien ein Bild: der Kater an Schläuchen im Krankenbett, Katzenschwestern in Weiß um ihn herum.
Matti ging in Twiggys Zimmer. Robbi lag zusammengekringelt auf dem Bett und öffnete ein Auge halb, als er Matti hörte. Das Auge war tranig und schloss sich gleich wieder. Matti betrachtete den Kater, dann streichelte er ihn und sah ausgedünnte Stellen im Fell. Zurück in der Küche, sagte er: »Wir müssen zu Dr. Schneider.«
»Dr. Schneider ist nicht mehr. Den hat die große schwarze Katze geholt«, erwiderte Twiggy. »Was glaubst du, warum das Branchentelefonbuch hier liegt?« Er deutete darauf.
Matti setzte sich an den Küchentisch. »Habt ihr schon einen gefunden?«
Twiggy schüttelte den Kopf. »Das sind bestimmt alles Giftmischer. Außerdem hat Robbi Angst vor jedem Tierarzt außer Dr. Schneider.« Den Doktortitel würde er in keinem anderen Fall über die Lippen kriegen, aber Dr. Schneider hatte Robbi schon mehrfach das Leben gerettet, jedenfalls wenn man wie Twiggy davon ausging, dass das geringste Unwohlsein lebensbedrohlich sein musste für den armen Kater. Dr. Schneider hatte ein Gespür für Katzen und vor allem für ihre Besitzer gehabt. Er behandelte eher den Katzenhalter als das Tier, wodurch in vielen Fällen auch das Tier wundersam gesundete.
»Na, man kann jetzt nicht sagen, dass Robbi freiwillig zu Schneider ging«, sagte Matti.
»Du hast doch die Protokolle mitgenommen?«, warf Dornröschen ein.
Matti stutzte und sagte: »Ja, klar. Liegen in meinem Zimmer, auf dem Schreibtisch.«
Twiggy blickte von einem zur anderen. »Hey!«
»Mann, Twiggy, Robbi hat die Mauser. Katzen verlieren Haare, wenn es warm wird«, sagte Matti.
»Aber Robbi verliert nicht nur Haare, er ist auch so … apathisch.«
Fast hätte Matti gesagt, dass der Kater immer apathisch sei, außer wenn er was fressen wollte, aber das traute er sich nicht.
»Sabine«, sagte Dornröschen nachdenklich. »Die hat auch eine Katze.«
»Die aus der Redaktion?«, fragte Matti.
Dornröschen nickte und gähnte.
Matti erinnerte sich, er hatte Sabine ein-, zweimal gesehen, eine lebhafte Kleine mit kurzen schwarzen Haaren.
Dornröschen wählte Sabines Nummer auf dem Handy.
»Du hast doch eine Katze. Zu welchem Tierarzt …?«
Sie hörte eine Weile zu und sagte dann: »Alles andere später, wir haben einen Notfall.« Ihr Blick fiel auf Twiggy.
Der Arzt hatte nicht mal einen Doktortitel, dafür lag seine Praxis in der Kienitzer Straße, neben dem Polnischen Schulverein. Twiggy hatte lange auf Robbi eingeredet, um ihn zu überzeugen, in den Katzentransportkorb zu steigen. Aber als der nach einer Viertelstunde die freundliche Einladung immer noch missachtete, setzte Matti ihn kurzerhand in den mobilen Katzenknast. Es ging so schnell, dass weder Robbi noch Twiggy einen Laut des Protests herausbekamen. Matti schloss den Deckel, und da erklang das erste Maunzen des Katers. Es ging allen durch Mark und Bein.
»So, jetzt
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