Tod in Kreuzberg
Ausflugsschiff. Und mittendrin Rosis Leiche.
»Sollen wir jetzt alle abklappern?«, fragte Twiggy.
»Puh!«
»Dornröschen wird genau das verlangen«, sagte Twiggy.
»Was die will, weiß ich schon lange nicht mehr.«
Sie schwiegen. Spatzen stritten sich um Krümel, ein Muskelpaket mit strohgelbem Kurzhaarschnitt auf einem Rennrad begann in einem Müllbehälter zu wühlen, der an einem Laternenmast befestigt war. Matti sah ihm zu und überlegte, warum das Bild nicht passte. Das war ungefähr so, als würde ein Mann im Frack hausieren gehen. Eine Gruppe von Musikern näherte sich, Akkordeon, Geige, Gitarre, Tamburin, und spielte spanische Gassenhauer. Sie waren unerträglich laut, als wollten sie sich fürs Aufhören bezahlen lassen. Tatsächlich ging bald ein Mädchen mit einer Mütze herum, tippte Twiggy auf den Oberarm, bis der wegguckte. Dann tat es traurig und zog weiter.
»So komisch war sie noch nie«, sagte Twiggy.
Sie bestellten zwei weitere Kaffee bei einer kleinen Frau mit kurzen grün glänzenden Haaren.
Im Las Primas war es heiß. Dornröschen erwartete die beiden schon, was aber nicht bedeutete, dass die Begrüßung herzlich ausfiel. Sie war im Kopf immer noch woanders, und weder Matti noch Twiggy traute sich, sie zu fragen, wo sie sei. Ein falsches Wort, Dornröschen würde aufstehen und gehen.
»Spitzel ja, einen Haufen sonstiger Schweinereien ja, aber dass ein international arbeitender Immokonzern Leute umbringen lässt, das glaube ich nicht. Die würden sich selbst ins Knie schießen«, sagte Dornröschen, nachdem Matti zusammengefasst hatte, was sie wussten oder sich zumindest einbildeten zu wissen.
»Und deswegen ist es dir gleichgültig, was wir herausgefunden haben? Weil du das nicht glauben willst?« Matti starrte sie an, aber Dornröschen reagierte nicht darauf.
Elisabeth lächelte und nahm die Bestellungen entgegen, das Gleiche wie beim letzten Mal. Zwei San Miguel hatte sie mitgebracht.
»Wir kommen so nicht weiter«, sagte Matti.
»Ein wahres Wort«, flüsterte Dornröschen und gähnte. »Ein wahres Wort.« Dann verfiel sie wieder in Schweigen.
Ein Impuls drängte Matti, aufzustehen und das Lokal zu verlassen. Draußen wartete die Nachtschicht, und er empfand die Aussicht, alle Besoffenen Berlins aufzusammeln, erheblich heiterer, als am Tisch sitzen zu bleiben.
Matti trank, Twiggy trank, und Dornröschen blickte durch alles hindurch.
»Redest du noch mit uns?«, fragte Twiggy vorsichtig. Aber Dornröschen hörte es nicht.
»Ein besseres Motiv haben wir aber nicht«, sagte Matti. »Rosi hatte was über Kolding, und Kolding hatte was gegen Rosi. Und wenn das, was sie hatte, dem Konzern die Existenz hätte kosten können? Kolding schmiert einen Baufritzen vom Senat, und der Ober-Kolding hängt mit drin?«
»Wir müssen die Ini-Leute weiter abklappern«, sagte Dornröschen. »Wenn wir einen Hinweis finden, dann nur dort.« Sie blickte erst Matti an, dann Twiggy. »Oder glaubt ihr, wir könnten bei den Koldings reinmarschieren und erklären, dass sie eine Mörderbande sind?« Sie schaute beide an. »Habt ihr eine bessere Idee?«
Klaus wohnte in der Müllenhoffstraße, zweiter Stock, neben dem Geburtshaus Kreuzberg. Die Straße war ruhig, grün, die Fassaden sauber und die Autos typisch für die neue Mittelschicht, unauffällig, hochwertig, praktisch. Das Wohnzimmerfenster stand offen, und von draußen drang mit einer warmen Brise gedämpftes Kindergeschrei und Reifengeklapper auf dem Kopfsteinpflaster herein, als ein Diesel die Straße hinunterrollte.
Twiggy und Matti saßen auf einem schwarzen Ledersofa, Klaus hatte es sich auf einem Stuhl bequem gemacht, dem man ansah, dass ein Designer lebenslang darüber gesonnen hatte, wie zu verhindern sei, dass auch nur die winzigste Pofalte gequetscht werden könnte. Ein breites Lächeln machte sein Gesicht noch breiter, und die kleinen Augen lächelten auch. An der Wand hing ein Foto der Jerusalemer Altstadt, auf der Kommode darunter stand ein siebenarmiger Leuchter.
»Rosi, ja, ja«, sagte Klaus und war sehr traurig. Matti schien es, dass Klaus’ Gesicht wie auf einen Klick umschalten konnte auf eine neue Miene. Von der Freundlichkeit in ihrer puren Gestalt auf eine Trauer, die trauriger nicht sein konnte. Matti fürchtete sich, Klaus begeistert zu erleben. Aber die Gefahr war eher gering.
»Ihr übernehmt euch nicht vielleicht?«, fragte Klaus.
Dornröschen blickte ihn an, antwortete aber nicht. Matti sah gleich, dass sie Klaus
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