Tod in Kreuzberg
sich um, zog eine Grimasse und stellte sich neben Twiggys Bett. »Sie müssen operiert werden, es gibt da Absplitterungen. Keine große Sache. Aber wir können Sie jetzt reinschieben in den OP-Plan. Können Sie das anziehen?« Sie hielt ein hinten offenes Nachthemd in der Hand.
»Wie soll er das anziehen?«, sagte Dornröschen. »Sehen Sie nicht, wie der Mann aussieht?«
Die Schwester sagte »Pö« und verschwand. Dreißig Sekunden später erschien ein Pfleger und gab Twiggy Formulare. »Die müssen Sie lesen und ausfüllen!«
»Können Sie mir mal verraten, wie mein Freund das lesen und ausfüllen soll? Der kann doch gar nicht gucken«, sagte Dornröschen.
»Ist Vorschrift«, sagte der Pfleger. »Ich hab die nicht erlassen.«
»Mann, haben Sie keine Augen im Kopf?«, schnauzte Dornröschen.
»Ist ja gut«, sagte der Pfleger. »Ich leg’s mal dahin.« Er verschwand wieder.
Den nächsten Auftritt hatte ein Mann, der sich als Oberarzt vorstellte. Er beugte sich über Twiggys Gesicht, lächelte, tätschelte ihm die Schulter und sagte: »Das kriegen wir wieder hin. Tut jetzt weh, ist aber eine Kleinigkeit.« Er tätschelte noch einmal und trat ab.
Nun erschien eine Schwester. »Wir müssen gleich runter in den OP mit Ihnen. Haben Sie das gelesen und unterschrieben?« Sie nahm die Papiere, blickte darauf und schaute Twiggy enttäuscht an.
»Wie soll der das lesen und unterschreiben?«, fragte Dornröschen scharf.
Die Schwester blickte verunsichert zu Twiggy, dann zu Dornröschen und verschwand.
Es trat ein Pfleger ein. »Sie müssen dringend in den OP …«
»Jetzt hören Sie auf!«, schrie Dornröschen. »Was ist das denn für ein Affenstall. Alle zwei Sekunden stürzt hier einer rein und redet Blech. Schieben Sie meinen Freund in den OP. Die Dreckspapiere unterschreibe ich Ihnen, und zwar jetzt! Geben Sie sie her!«
»Das geht nicht«, sagte der Mann, »die sind für die Versicherung.«
»Aber Sie sehen doch, dass der weder lesen noch schreiben kann! Sind Sie blind?«
Der Pfleger warf Dornröschen einen verzweifelten Blick zu.
»Sie würden ihn verrecken lassen, wenn er diese elenden Papiere nicht unterschreibt«, stöhnte Matti. Er stützte sich auf die Ellbogen und hob seinen Oberkörper ein paar Zentimeter an. Er wäre am liebsten aufgestanden und hätte das Krankenzimmer zerlegt und die Glotze, die an der Wand hing, zum Fenster hinausgeworfen. »Hören Sie endlich auf mit diesem Unsinn. Operieren Sie, die Unterschriften kriegen Sie dann, wenn mein Freund wieder lesen kann. Oder wollen Sie, dass der blind unterschreibt? Wenn hier einer reinkommt mit Augenverletzungen, führen Sie ihm die Hand bei der Unterschrift, oder was?« Matti sank zurück auf die Matratze.
Der Pfleger schüttelte den Kopf und sagte nichts. Er zögerte, endlich verließ er den Raum.
»Ich dachte, es sei eilig mit der Operation!«, rief Matti ihm nach.
»Eilig haben die es nur mit der Abrechnung«, sagte Dornröschen.
Twiggy schnaufte.
Ein Assistenzarzt erschien, wie sein Namenschild verriet. »Sind Sie immer noch nicht fertig?«
»Mit was?«, fragte Dornröschen.
Der Arzt verschwand und hinterließ nur das Leuchten seiner roten Haare.
Der Schieber öffnete die Tür und trat an Twiggys Bett. »Wir müssen jetzt aber los. Die im OP drängen schon.« Er schob den Wagen zur Tür.
Zwei Weißkittel und eine Frau in hellblauem Krankenhausanzug traten ein und stellten sich vor das Rollbett.
»Halt«, sagte die Frau. »Noch nicht.«
Der Schieber bremste abrupt. Twiggy stöhnte leise.
»Ich bin von der Dokumentation«, sagte die Frau. Sie trug einen Stapel Papier in der Hand und einen Kugelschreiber. »Wenn Sie hier« – sie deutete auf das Papier – »keine Angaben machen …«
Ein Kissen kam geflogen und traf die Frau im Gesicht. Begleitet wurde der Treffer von einem Schrei, in dem sich Schmerz und Wut mischten. »Halten Sie endlich die Schnauze!«, brüllte Matti. »Schieben Sie meinen Freund in den OP, und zwar jetzt, wenn Sie verhindern wollen, dass ich aufstehe und Sie erwürge!« Ein Aufstöhnen, und Matti legte sich wieder hin.
Schweigen.
Die hellblaue Frau zog ein beleidigtes Gesicht und verschwand.
Der Schieber startete erneut. Die Tür sprang auf, und ein weißhaariger Mann mit wehendem Kittel trat ein, bremste abrupt, schaute sich um, starrte auf einen Zettel in seiner Hand, blickte sich wieder um, bis seine Augen bei Matti hängen blieben. »Sie sind Herr Dehmel?« Er wippte auf den Fußballen.
Matti
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