Tod in Kreuzberg
Chef zuckte mit den Achseln und guckte traurig. »Man braucht solche Leute, das wissen Sie doch. Auch bei Ihnen, in Ihrer … Szene gibt es welche, die den Ton angeben, und welche, die folgen. Herr Runde ist einer, der folgt. Und der soll einen Mord organisieren?« Angesichts dieser Vorstellung musste der Chef ein bisschen lachen.
Auch in unserer Szene geben manche den Ton an und andere folgen, das stimmt, dachte Matti. Dornröschen gehörte zu denen, deren Meinung zählte. Und seine zählte auch. Wogegen andere den Mund nicht aufkriegten.
»Schauen Sie sich doch die Revolutionen an. Überall entstanden Diktaturen, oft massenmörderische Systeme, Sowjetunion, China, Kambodscha …«
»Was wird denn das?«, fragte Dornröschen.
»Wollen Sie nicht mit mir diskutieren?«, fragte der Chef. Er klang beleidigt. »Sie halten mich für Ihren Feind. Überzeugen Sie mich, widerlegen Sie mich.«
»Wir suchen einen Mörder«, sagte Dornröschen. »Und bei allem Respekt, aber einen Kapitalisten davon zu überzeugen, dass der Kapitalismus Mist ist, das traue ich mir nicht zu. Ich erklär doch auch einem Fisch nicht, dass es an Land gemütlicher sei. Sie haben Ideen!« Sie schüttelte den Kopf.
Matti dachte: Das ist der cleverste Kerl, der uns untergekommen ist, eine Art sanfter Aggressor. Der ist einfach zu schlau, um einen Mord anzuordnen wegen eines Artikels, der im Weltblatt Stadtteilzeitung veröffentlicht werden soll.
»Also, der Kumpel«, sagte Dornröschen.
Der Chef schnaubte leise, dann erhob er sich, ging zum Schreibtisch, drückte einen Knopf auf dem Telefon. »Wenn Sie Herrn Hiller zu mir bitten könnten«, sagte er übertrieben freundlich.
Wahrscheinlich überschüttet er seine Leute zu Ostern mit Schokoeiern. Matti grauste es, im Vergleich zum Chef war ein Wackelpudding fest wie Eiche.
Sie schwiegen, bis es kurz klopfte und die Tür sich öffnete. Ein mittelgroßer Mann mit ausdruckslosem Gesicht und dünnem Kinnbart blickte durch dicke Brillengläser zum Chef. Der winkte ihn hinein. »Setzen Sie sich doch ruhig auf meinen Schreibtischstuhl«, sagte der Chef.
Hiller kratzte sich am Bärtchen, zögerte, dann setzte er sich hinter den Schreibtisch.
»Sie wissen, dass ich Herrn Runde fristlos kündigen musste?«
Hiller nickte vorsichtig. »Ja.«
»Keine Sorge. Ich nehme nicht an, dass Sie auch in diesem Etablissement waren, zusammen mit den Herren der Stadtverwaltung.«
Hiller schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall.«
Der Chef lächelte und winkte ab. »Natürlich nicht.« Er legte seinen Kopf auf die Seite und blickte Hiller an. »Also, ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll« – Hiller erbleichte, die Stirn begann zu glänzen, er kratzte sich hektisch an der Backe –, »aber diese … Herrschaften hier behaupten tatsächlich, dass in unserer Firma ein Mord organisiert worden sei.«
Hiller erstarrte, sein Blick flatterte.
»Wissen Sie etwas von einem Mord?«
»Mord? Wer wurde ermordet?«
»Na, diese Frau, ihre Leiche lag auf der Admiralbrücke.«
»Ach so, die.«
»Ja und?« Der Chef fragte freundlich, aber es schwang Strenge mit.
»Was soll ich dazu sagen, Chef? Ich weiß nichts. Ich habe nur gehört, dass die Frau etwas über uns schreiben wollte. Mehr weiß ich nicht.«
»Von wem haben Sie das gehört?«, fragte Matti.
Hiller warf dem Chef einen fragenden Blick zu. Der nickte.
»Von Herrn Runde.«
»Und von wem weiß der das?«, setzte Matti nach.
»Keine Ahnung«, sagte Hiller. »Der wusste auch nur, dass diese Frau ermordet worden ist. Und dann hat er von einem Polizisten etwas aufgeschnappt.«
»Polizisten?«
»Ja, die waren hier wegen des Mords. Und haben uns vernommen«, sagte der Chef.
Die WG-Genossen wechselten ratlose Blicke. Die Bullen waren also schon hier gewesen, dachte Matti. Die müssen was gefunden haben. Vor uns. Vielleicht haben wir deswegen in der Wohnung nichts mehr entdeckt. Aber die Protokolle sind ihnen durch die Lappen gegangen. Er grinste in sich hinein.
»Wie hat Herr Runde das gesagt? War er betrübt? Aufgeregt?«, fragte Matti.
»Nein, er hat gesagt« – Hiller zögerte –, »eine Querulantin weniger.«
»War er froh?«
»Nein. Eher gleichgültig.«
»Es war ihm egal?«
»Vielleicht nicht … aber …«
»Hassen Sie Leute, die Ihre Firma kritisieren?«, fragte Twiggy.
»Dann müsste ich ja viele hassen.«
»Und Herr Runde?«
»Dem sind die egal. Die Hunde kläffen, die Karawane zieht weiter. Das hat er immer gesagt.«
Der Chef nickte.
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