Tod in Kreuzberg
Twiggy grunzte laut. Eine junge Frau am Nebentisch blickte ihn missbilligend an. »Klar, der Türke, wer sonst? Und diese Schweine sind fein raus.« Er schniefte, fing sich den zweiten bösen Blick ein und trank.
»Na, sauer wird der schon sein«, sagte Matti. »Dass die ihm den Laden weggenommen haben, das macht ihn wütend. Würde jeden wütend machen. Und natürlich hat er daran gedacht, diese Kolding-Ärsche umzubringen. Würde mir auch so gehen. Vielleicht hat er Rosi umgebracht, weil er sie für die Quasten hielt. Das würde mir so wenig passen wie dir, aber es hilft nichts.«
»Die Koldings waren es«, brummte Twiggy.
»Wir müssen mit Göktan reden«, sagte Dornröschen. »Es hat keinen Sinn, etwas zu glauben. Außerdem wäre Göktan nicht der erste Türke, der jemanden umbringt. Die Frau sah aus wie Rosi. Und vielleicht hat Göktan sich im Kiez herumgetrieben, gefrustet, geladen, und da lief ihm die Tussi über den Weg, die ihm den Laden weggenommen hat. Den Laden, den er sich abgespart hat mithilfe seiner Verwandten, denen er stolz erzählt, dass er es zu was gebracht hat, auch wenn dieser Rassenforscher meint, dass Gemüseläden nichts zur Berliner Wirtschaft beitrügen.«
»Ich will auch nicht, dass er es war«, sagte Matti leise. »Aber das hilft uns nichts. Dieser Chef bringt keine Leute um, dafür ist er viel zu schlau. Wie er den Runde abserviert hatte, Weltklasse.« Er fluchte, als er sah, dass seine Packung Schwarzer Krauser so gut wie leer war. Aus den letzten Krümeln drehte er sich eine dünne Zigarette und zündete sie an. »Göktan hat ein Motiv, er hasst diese Quasten, sie hat ihn vernichtet, und er ist schon einmal mit dem Messer auf sie losgegangen.«
»Wenn das überhaupt stimmt«, sagte Twiggy.
»Jede Wette«, erwiderte Matti. Ein Zug, und die halbe Zigarette war Asche.
Schweigen. Aus der Kneipe röhrte es, dann ein Stampfen. Motörhead, Lemmy am Bass. In der Arbeitsgruppe wurde gelacht. Der Typ mit der Sektendevotionalie lachte am lautesten. Natürlich. Der Hubschrauber war hoffentlich abgestürzt. Ein Scheißtag.
»Nachts kann man Rosi von dieser Tante nicht unterscheiden«, sagte Dornröschen. »Wenn es Göktan nicht gewesen sein sollte, wer hat sie noch verwechselt? Überlegt mal, die Quasten ist die Plattmacherin, die schickt denen Anwälte auf den Hals und auch die Bullen. Die hat überall Feinde. Alle Mieter, die Kolding verdrängt hat, hatten mit der Quasten zu tun. Die hat ihnen böse Briefe geschickt, Mieterhöhungen, Kündigungen, Mahnungen, Räumungsklagen und so weiter. Für die Opfer ist die Quasten ein Monster.«
»Die arme Rosi«, sagte Matti. »Nur weil sie dem Monster ähnelte.«
»Nicht das erste Mal, dass jemand aus Versehen umgenietet wurde«, sagte Twiggy. »Aber in diesem Fall ist es zum Kotzen.«
Matti grinste.
Twiggys Blick blieb an dem Apple-Jünger hängen. In dem Fall wäre es keine Verwechslung, dachte Matti und lachte leise.
Twiggy guckte Matti an und musste doch grinsen.
»Wenn es eine Verwechslung ist, haben wir das Chaos. Die Quasten hat viele Feinde. Es muss gar nicht Göktan sein, sondern etwa ein unauffälliger Mieter, dem der Kragen geplatzt ist«, sagte Dornröschen. Sie überlegte und warf einen Blick zur Arbeitsgruppe, die kollektiv zu kreischen begonnen hatte, am lautesten natürlich der Sektenfritze. »Aber wir fangen bei Göktan an, der ist schließlich mit dem Messer auf die Quasten los.«
»Das glaubst du der?«, fragte Twiggy. »Die hat nicht mal die Bullen gerufen.« Das war das Letzte, was sie die Quasten gefragt hatten. Sie wolle mit dem Kerl nichts mehr zu tun haben, war ihre Begründung gewesen. Lau, sehr lau.
»Ja«, sagte Dornröschen. »Aus ihrer Sicht ist sie das anständigste Wesen weit und breit. Aber niemand erkennt an, was für gute Taten sie vollbringt. Außer ihrem Chef vielleicht. Aber der lässt sie die bösen Sachen machen, damit er den Gutmenschen geben kann.«
Dornröschen kramte den Zettel aus der Tasche, auf dem sie Adresse und Telefonnummer von Berkan Göktan vermerkt hatte. »Bellermannstraße, das ist in Gesundbrunnen.«
Ecke Behmstraße/Bellermannstraße. Siebenstöckige Betonbauten. »Westplatte«, sagte Twiggy. Fast jeder Balkon trug eine Satellitenschüssel, viele einen Sonnenschirm. Gegenüber, getrennt durch die vierspurige Straße, lud das Gesundbrunnen-Center zum kostenlosen Parken ein, ein paar Meter weiter ratterte die S-Bahn unter der Brücke durch. »Gemütlich«, fügte er trocken hinzu.
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