Tod in Seide
mit einer dünnen Steppdecke zu. Kaum hatte mein Kopf das Kissen berührt, fiel ich in einen tiefen Schlaf.
Das schrille Läuten des Telefons riss mich aus dem Schlaf. Am Horizont wurde es gerade hell, es konnte nicht viel später als sechs Uhr sein. »Hallo?« Ich sprach leise und war etwas verwirrt, vielleicht auf Grund der Uhrzeit, vielleicht aber auch, weil ich zum Abendessen etwas zu viel Wein getrunken hatte.
»Alex, hier ist Mercer. Der Lieutenant bestand darauf, dass ich dich anrufe. Er sagte, dass du das letzte Mal Stunk gemacht hast, als du es erst aus den Zeitungen erfahren hast.«
»Er hat Recht, schon gut. Was ist passiert?« Ich setzte mich auf, während Jake seinen Kopf hob, ihn auf seinen Ellbogen stützte und seine Augenlider mit Daumen und Mittelfinger massierte.
»West Side, Eighty-sixth Street. Unser Mann hat heute Nacht wieder zugeschlagen, ungefähr eine Stunde nach Mitternacht. Ein zwanzigjähriges Mädchen – als sie nach Hause in ihre Wohnung kam. Vergewaltigte sie und richtete sie ziemlich übel zu, als sie sich wehrte. Ich frag’ wirklich nicht gern, aber kannst du zurück in die Stadt kommen?«
19
Ich stand auf, machte Kaffee, schlüpfte in Jeans und einen Blazer und setzte mich auf die Terrasse, während Jake seine Golfklamotten aus seiner Reisetasche nahm und sich anschickte, das Haus zu verlassen.
»Bist du dir wirklich sicher, dass ich nicht mitkommen soll?«
»Ganz sicher. Es ist eine Sünde, etwas so Schönes zu verlassen, außer man hat keine andere Wahl. Du hast eine Menge Freunde auf der Insel, und wenn ich heute Abend daheim ins Bett krieche, werde ich meine Augen schließen und mit Freude daran denken, dass du hier bist, in meinem Bett und mit diesem Ausblick. Ich bin diejenige, die sich schuldig fühlt. Zuerst verspreche ich dir ein gemeinsames Wochenende, und dann muss ich weg, weil die Arbeit ruft.« Ich machte mir Sorgen, dass mein verrückter Terminkalender und die Tatsache, dass mich ein großer Fall oder eine schwierige Verhandlung völlig in Anspruch nahmen, Jacob Tyler abschrecken könnte, wie es schon bei anderen der Fall gewesen war.
»Hey, wenn jemand mit meinem Terminplan und Lebensstil dafür kein Verständnis hätte, dann hättest du Grund, dir Sorgen zu machen.«
Da der Flughafen auf dem Weg zum Golfplatz lag, setzte mich Jake dort ab. Er küsste mich zum Abschied, und ich versprach ihm, auf mich aufzupassen und ihn anzurufen. Da es Samstagvormittags keine Direktverbindung nach New York gab, nahm ich den nächsten Cape-Air-Flug nach Boston und rief dann Mercer im Büro an, um ihm auszurichten, dass ich den 10-Uhr-30-Flug nehmen würde. Nachdem es auf Grund des starken Flugverkehrs überall zu Verzögerungen kam, war es schon nach halb zwölf, als ich aus dem Marine Air Terminal kam.
»Es tut mir Leid, Alex. Hörte sich an, als ob du ein schönes Wochenende geplant hattest. Es ist mir schrecklich unangenehm, dich da rausgerissen zu haben.«
»Du weißt doch, dass das kein Problem ist. Wie geht es ihr?«
»Sie schafft’s schon. Sie ist sehr tapfer. Hat sich heftigst gewehrt. Sie hat die Pistole gesehen, aber gemeint, sie wäre nicht echt und …«
»Ganz schön riskant.«
»Wem sagst du das? Sie ist in Florida aufgewachsen und kennt sich mit Waffen aus. Also war sie sich ziemlich sicher. Vielleicht hatte sie Recht. Der Typ steckte sie jedenfalls zurück in seinen Gürtel und fing an, sie mit den Fäusten zu bearbeiten.«
»Wurde die Vergewaltigung vollzogen?«
»Im juristischen Sinn, ja. Er ist in sie eingedrungen, aber er hat nicht ejakuliert. Also keine DNS in diesem Fall.«
Zu den Tatbestandsmerkmalen einer Anklage wegen Vergewaltigung gehörte die wenn auch noch so geringfügige Penetration der Vagina des Opfers. Die meisten Opfer waren sich dieser Formsache nicht bewusst, also erzählten uns viele, dass der Angreifer »versucht« hat, sie zu vergewaltigen, aber dass die Vergewaltigung nicht vollzogen wurde, weil er nicht ejakulierte. Tatsächlich war es so, dass juristisch gesehen das Eindringen des Penis, egal ob der Angeklagte ejakuliert hat oder nicht, ausreichend war, um die Tat als Vergewaltigung einzustufen.
»Wohin fahren wir?«
»Sie ist jetzt im Präsidium und hilft uns mit dem Phantombild. Der Lieutenant meinte, du würdest sie so schnell wie möglich vernehmen wollen, also machen wir es dort.«
»Wann hat sie das Krankenhaus verlassen?«
»Man hat mich zu Hause angerufen, und ich fuhr um drei Uhr zum Roosevelt Hospital
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