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Tod in Seide

Tod in Seide

Titel: Tod in Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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hinüber. Sie wurde gründlichst untersucht und konnte dann gehen. Die ganze Zeit war jemand vom Rape Crisis Intervention Program bei ihr.« Die krankenhauseigene Einrichtung zur Betreuung von Vergewaltigungsopfern war eine der besten in der Stadt. Wie die meisten anderen dieser Einrichtungen verfügte sie über zu wenig Geld und ausschließlich ehrenamtliche Mitarbeiter, aber die Qualität der Versorgung und Betreuung war hervorragend. »Ich fuhr sie nach Hause, damit sie sich umziehen und eine Weile ausruhen konnte, dann holte ich sie heute Morgen um neun Uhr ab, um sie ins Polizeipräsidium zu bringen.«
    Die New Yorker Polizei hatte eine Einheit, die darauf spezialisiert war, anhand der Beschreibung eines Zeugen oder des Opfers ein Phantombild des oder der Angeklagten anzufertigen, welches dann als Fahndungsposter in dem betreffenden Viertel oder in der ganzen Stadt verteilt wurde. Manche der in dieser Einheit beschäftigten Detectives bevorzugten es, freihändig zu zeichnen, andere verwendeten computergestützte Programme. Jedes Detail, jede noch so kleine Nuance in der Beschreibung wirkte sich auf die Beschaffenheit der Gesichtsbehaarung oder die Form eines Augenlides aus. In vielen Fällen stellten sich die Zeichnungen im Nachhinein als beinahe fotografische Abbildungen des Gesichts des Täters heraus.
    Da wir es in diesem Fall mit einem Serientäter zu tun hatten, existierten bereits mehrere Phantombilder des Vergewaltigers. Obwohl sie einander alle ähnlich sahen, gab es Unterschiede, die sich aus den Umständen erklärten, in denen jede der Frauen den Täter gesehen hatte. Auch diese Zeugin würde durch ihre ganz persönliche Wahrnehmung dazu beitragen, dass die Bilder weiter verfeinert werden konnten.
    »Denkst du, es wird ihr zu viel werden, wenn ich heute noch einmal alles mit ihr durchgehe? Packt sie das jetzt?« Ich kannte Mercers einfühlsamen und behutsamen Umgang mit den Opfern und vertraute daher auf sein Urteilsvermögen.
    »Ich habe sie nicht gedrängt. Ich dachte mir, wenn wir sie zusammen vernehmen, würden wir alles Wesentliche aus ihr herausbekommen, und sie müsste es nur einmal erzählen. Sie ist bereit, Alex, und wild entschlossen, den Kerl zu überführen und ihn für immer hinter Gitter zu bringen.« Mittlerweile hatten wir Mercers Auto erreicht und fuhren nun in Richtung Brooklyn-Queens-Expressway, auf dem man über den East River nach Manhattan gelangte. »Ich habe ihr versprochen, dass ich ihn finden werde und dass du dafür sorgen wirst, dass er niemals wieder das Tageslicht erblickt. Sie kann es wirklich kaum erwarten, mit dir zu reden.«
    So vieles hatte sich in diesem Bereich, allein seit ich darin tätig war, getan. Hatten Frauen früher nur widerwillig sexuelle Gewaltverbrechen angezeigt, erhoben sie jetzt viel öfter Anklage, da das jahrhundertealte gesellschaftliche Stigma, das die Opfer einer Vergewaltigung getragen hatten, jetzt endlich an denen haftete, die es verdient hatten: an den Tätern. Dennoch war es nach wie vor so, dass den Opfern, die von Unbekannten angegriffen wurden, leichter Glauben geschenkt wurde und dass jene vor Gericht erfolgreicher waren als diejenigen, die von einem Freund, Familienangehörigen oder Bekannten vergewaltigt wurden. Paul Battaglia, dem dieses Thema leidenschaftlich am Herzen lag, hatte der Verfolgung dieser Straftaten Ressourcen zur Verfügung gestellt, die von keiner anderen Staatsanwaltschaft des Landes auch nur annähernd aufgebracht wurden. Egal ob der Täter ein Freund, Verwandter, Ehegatte oder Arbeitskollege des Opfers war – es war unser Mandat, jede von einem glaubwürdigen Zeugen vorgebrachte Anklage mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu untersuchen und den Fall vor Gericht zu bringen.
    »Scheint, als ob du letzte Nacht nicht viel geschlafen hast«, sagte ich. Mercer sah erschöpft aus. Er hatte die ganze Woche an dem Caxton-Fall gearbeitet und war deshalb von den anderen Pflichten in der Sonderkommission freigestellt worden. Das heißt, dass er keine neuen Fälle übertragen bekommen hatte, aber als der West-Side-Vergewaltiger wieder zuschlug, rief man ihn an. Er war dieser Sondereinheit von Anfang an zugeteilt gewesen, und der Lieutenant vertraute nicht nur auf Mercers zwischenmenschliche Fähigkeiten, sondern auch darauf, dass es ihm gelingen würde, aus den Ähnlichkeiten im Tathergang – zum Beispiel, was Ausdrucks- und Verhaltensweisen des Täters und die Abfolge der sexuellen Handlungen anging – ein

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