Tod in Wolfsburg (German Edition)
sogar in der Nähe des Wäldchens gewesen.
Johanna atmete tief aus und ging zurück an ihren Platz. »Und was
haben dann die ersten Ermittlungen ergeben?«
Sofia Beran setzte sich ebenfalls wieder und schlug die Beine
übereinander. »Einer unserer jungen Kollegen konnte auf ihrer Hand zwar mühsam,
aber doch eindeutig den Stempel einer Technodisco im Gewerbegebiet an der
Dieselstraße identifizieren, in der das Mädchen an jenem Abend gemeinsam mit
einigen Schulfreundinnen gegen zehn Uhr eingetroffen war. Der Laden war
ziemlich voll. Das Unglück passierte dann nachts um kurz nach zwei.
Wahrscheinlich …«
»Sie war erst fünfzehn. Was hatte sie um diese Zeit dort verloren?«
Reinders hob kurz die Hände. »Aber offensichtlich kein Kind von
Traurigkeit – wie die anderen auch nicht. Die Mädchen hatten sich ganz schön
aufgedonnert und gingen für achtzehn durch, wie unsere Nachforschungen in dem
Schuppen ergaben. Der Diskothekenbesitzer behauptet, dass sie gefälschte
Ausweise vorgezeigt hätten. Nun, das hat uns in der Nacht nicht großartig
beschäftigt, und ich lasse das jetzt mal so dahingestellt. Die
gerichtsmedizinischen Untersuchungen ergaben, dass Karen Drogen genommen hatte
– einen bunten Partymix –, dazu jede Menge Alkohol. Sex hatte sie auch.«
Johanna war beeindruckt, dass die Kriminaltechnik noch solche
Details hatte feststellen können, denn die Leiche war sicherlich in keinem
guten Zustand mehr gewesen.
»Wir nehmen an, dass Karen draußen in den Wiesen am Allersee oder
auch am Mittellandkanal mit einem Jungen zu einem Schäferstündchen verabredet
war – die Aussagen der Klassenkameradinnen bestätigen das. Allerdings weiß
niemand, wer das war oder gewesen sein könnte. Wahrscheinlich wurden dabei noch
mehr Drogen konsumiert. Später ist sie, wie wir annehmen, orientierungslos
durch die Gegend gelaufen – im Dunkeln kann man sich da draußen durchaus
verlaufen, wie Ihnen wahrscheinlich bekannt sein dürfte …«
Johanna nickte wortlos.
»Vielleicht ist ihr auch übel geworden – was auch immer«, fuhr
Reinders fort. »Das lässt sich im Einzelnen nicht mehr feststellen, und dazu
konnte auch keines der anderen Mädchen etwas beitragen. Auf jeden Fall ist sie
irgendwann auf den Gleisen gelandet, unter Umständen gestürzt und liegen
geblieben – bewusstlos, oder sie ist einfach erschöpft eingeschlafen …«
»Kommt man denn da so ohne Weiteres auf die Gleise?«, fragte
Johanna. »Was ist mit den Lärmschutzwänden?«
Sie erinnerte sich gut daran, dass ihre Großmutter über die hohen,
hässlichen Wände, die hinter den Kleingärten hochgezogen worden waren und ihr
die Sicht auf die vorüberratternden Züge verwehrt hatten, ziemlich empört
gewesen war. Die beschissene Wand sähe aus wie die DDR -Mauer, hatte Oma Käthe erbost und ungeduldig abgewunken,
wenn man ihr erklären wollte, dass die Strecke für den schnellen ICE ausgebaut worden war, was eine
zusätzliche Sicherung der Gleisanlagen erforderlich gemacht hatte.
»Die beginnen erst am Ortseingang«, erklärte Sofia Beran.
»Hm.« Johanna nickte. »Was genau sagt denn der Zugführer? Ist ihm
etwas Besonderes aufgefallen?«
Reinders verzog den Mund. »Der war zunächst gar nicht
vernehmungsfähig – völlig am Ende der Mann, kann man sich ja denken. Ein paar
Tage später hat er lediglich ausgesagt, dass er die Gestalt auf den Gleisen
erst registriert hat, als es schon zu spät war. Er hat natürlich gebremst, aber
es war klar, dass es nichts mehr nützen würde. Er hat das Mädchen voll erwischt
…«
Johanna griff nach ihrer Tasse. »Gab es auffällige Spuren, die
eventuell auf weitere Personen am Fundort der Leiche hinweisen könnten?«
Reinders blätterte in seiner Akte. »Nein, nichts Konkretes. Außerdem
hat es in der Nacht auch noch geregnet. Nicht viel, aber es reichte, um Spuren
zunichtezumachen.«
»Verstehe. Zusammenfassend kann man also sagen, dass Sie bislang von
einem tragischen Unfall ausgegangen sind?«
Reinders kratzte sich am Hinterkopf. »So ist es, und ich bin immer
noch davon überzeugt. Alle Indizien stützen diese Version oder sagen wir: fast
alle.«
Johanna sah ihn aufmerksam an. »Ach?«
»Na ja – was die Einschätzung der Persönlichkeit des Mädchens
angeht, so driften die Meinungen etwas auseinander; allerdings halte ich das
für völlig normal. So zeichnen die Schulfreundinnen ein anderes Bild von Karen
als die Eltern, die Familie. Ich …«
»Inwieweit?«
»Nun, Karen war in ihrer
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