Tod Live
daß sie unterschreibt«, sagte ich.
»Das machen sie doch immer.«
»Wir alle kennen den Grund.«
»Kann ich was dran ändern, daß die Welt so ist?« Er behielt den leichten Ton bei, imitierte seinen Großvater. »Bitte, Roddie, tu mir einen Gefallen. Keine Schuldgefühle, kein umfassendes soziales Gewissen. Willst du, daß ich die Dame einem anderen gebe? Irgendeinem, der sie vielleicht nicht richtig behandelt? Einem, der nicht mal die Hälfte deines Formats hat? Willst du das?«
Ich spielte den mir zugeworfenen Ball zurück. »Unmöglich«, sagte ich lakonisch. »Ich bin der Mann mit den Augen.«
Mason verließ sein Behandlungszimmer. Das Mikrofon war eingeschaltet; er hatte mitgehört und hätte durch die Verbindungstür kommen können. Aber er zog es vor, auf seiner Seite des Spiegels zu bleiben, und jetzt ging er. Plötzlich war ich erzürnt, daß er sich so absondern wollte.
»He!« rief ich. »Wenn Sie glauben, Ihre Schau war mies, was ist dann mit meiner?«
Er drehte sich um, die Hand am Türgriff. »Ich glaube, Sie werden ihr helfen«, sagte er. »Mit etwas Glück schaffe ich das vielleicht auch. Wir können nur tun, was in unseren Kräften liegt.«
Er brachte es ohne Dünkel heraus, und vielleicht bin ich rot geworden. Aber er sprach ja nur mit einem Spiegel.
»Ich muß jetzt gehen. Ich habe noch andere Patienten.«
Er lächelte die Stelle an, wo er mich vermutete, und ging.
Vincent stand auf, reckte sich, ging um mich herum, tat sein Bestes, die Leere auszufüllen.
Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, als sei Vincent gefühllos. Aber sein Feingefühl, künstlerisch wie menschlich, war ausschließlich an den Medien orientiert. An meinem hatte ich noch zu arbeiten.
»Die Operation ist noch nicht lange genug her«, sagte er. »Du bist noch immer etwas nervös. Wir hätten warten sollen.«
»Man kann sich seine Todeskandidaten nicht aussuchen. Sie kommen einfach. Ich freue mich über die Gelegenheit.« Und ich meinte es auch so. »Ich kann mir keine bessere Chance wünschen, zu beweisen, daß sich die Sache gelohnt hat.«
»Wir haben Vertrauen in dich, Roddie. Das weißt du natürlich.« Er drückte meine Schulter mit seinen großen, breiten Fingern. »Der Mann mit den Fernsehaugen – ein schönes Gefühl, wie?«
Ich hatte noch nicht überlegt, wie ich mich fühlte. Instinktiv hob ich die Hand an den Kopf, berührte die Platte unter meiner Kopfhaut. Die dünnen Nähte waren unter dem Haar kaum zu spüren.
»Es ist eine große Verantwortung«, sagte ich.
Er tat das als die Förmlichkeit ab, die es war. »Und der Schlaf?« fragte er. »Würde mich wahnsinnig machen. Niemals zu schlafen.«
»Man gewöhnt sich daran. Ich ruhe mich oft aus. Die Medizin hilft mir dabei. Ich bin nie müde.« Das war eine Lüge. Ich war ständig müde. »Die Fachleute sagen, wenn mich überhaupt etwas fertigmacht, dann der Mangel an Träumen.«
»Du solltest mit offenen Augen schlafen. Es heißt, Wächter machen das die ganze Zeit.«
Er schlug mir spielerisch auf die Schulter. Ich gehörte zu seinem Team.
»Ich spendiere dir einen Drink, Roddie. Das Personal hat hier irgendwo im Keller eine Bar.«
Immerhin – meistens war es ein großartiges Gefühl. Schließlich war ich Reporter. Mein ganzes Berufsleben hindurch hatte ich unter den Zwängen von Kamera- und Beleuchtungsmannschaften gelitten. Die Gegenwart einer Kamera beeinflußt die Menschen unterschiedlich – einige werden besser, andere schlechter; die besten sind vorsichtig und die schlimmsten wohlberechnet unvorsichtig. Wissenschaftler behaupten, der Akt der Beobachtung verändere subtil das Wesen des beobachteten Objekts. Wenn es sich bei dem Objekt um Menschen handelt und der Beobachter die allesverschlingende Linse einer Kamera ist, kann dieser Vorgang nicht mehr subtil genannt werden. Diesen ganzen Ballast los zu sein, war großartig.
Obendrein genoß ich ein Gefühl der Wichtigkeit. Ich war wichtig geworden. Ich wurde als wichtig genug angesehen, um eine Investition von fünfzehntausend Pfund zu rechtfertigen. Und eine hohe Versicherungspolice. Bei einem Dreijahresvertrag sicherte mir das Wohlhabenheit und Luxus für den Rest meines Lebens. Und eine garantierte Erneuerung des Vertrages, wenn ich das wünschte. Was selbstverständlich der Fall war.
Schließlich war ich Reporter. Wie Reuter damals, mit seinen Brieftauben, besaß ich heute das aufsehenerregendste Werkzeug für die wahrheitsgemäße Reportage, das die Welt je gesehen hatte.
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