Tod Live
Hälfte des Lebens war, die Hälfte, die ihr eine überdrehte Technologie gestattete.
Für mich würde es natürlich logistische Probleme geben. Daß ich meine eigene Kamera war, bot mir einen unschätzbaren Vorteil im Hinblick auf die Spontaneität, beschränkte mich jedoch in der Aufnahmetechnik, im Wechsel der Blickwinkel. Es bedeutete, daß ich jede Szene gewissermaßen vorher planen und im Ablauf schneiden und lenken mußte. Vincent würde mein Material natürlich noch bearbeiten, aber wenn ich nicht im richtigen Augenblick in die richtige Richtung schaute, war der Augenblick vertan. Und ich würde ganz allein arbeiten, ohne einen Assistenten, der mich am Ärmel zupfte. Es war die Aufgabe, auf die ich gewartet hatte. Ich wollte Katherine Mortenhoe groß herausstellen.
Ich verließ den Vorführraum in einem Zustand seelischer Übereinstimmung mit der ganzen Menschheit. Die Personen, die ich auf dem Korridor sah, die vertrauten, alten Fernsehleute, hatten eine neue Unmittelbarkeit gewonnen. Als mir einer auf die Schulter klopfte, hätte ich seine vergängliche Lebenskraft beweinen können.
»Roddie… Wo hast du denn gesteckt?«
»Ich war unterwegs.« Die Operation war noch ein gutgehütetes Geheimnis.
»Glückspilz. Ich dachte, ich hätte dich nur übersehen.«
»Vincent hat mir frei gegeben. Wegen guter Führung.«
»Und jetzt bist du wieder im Geschirr.« Er beugte sich zu mir herüber, widerlich desodoriert. »Wie ich höre, gibt’s eine neue Todeskandidatin. Und es heißt auch, du sollst sie bekommen.«
»Oh, erzählt man das?«
»Kluger Bursche. Aber du kannst dich heutzutage nicht so oft mit Vincent herumtreiben, ohne daß man zwei und zwei zusammenzählt. Er ist doch der König der Todeskandidaten. Oder wußtest du das nicht?«
»Er macht auch andere Sachen.«
»Überall im Haus wird von ihr geredet, laß dir das gesagt sein. Höchstens noch drei Wochen. Ein Prachtweib mit 90-65-90, arbeitet in einer Abtreibungsklinik. Höchstens noch drei Wochen hat sie. Dann ist Sense, unweigerlich.«
»Du weißt nicht zufällig auch, wie sie heißt?«
»O doch. Katie Mortenhoe. Den Namen vergißt man nicht so schnell. Keine Chance mehr. Angeblich war die Serie am Abrutschen und konnte nicht mal mehr einen Spastiker finden. Vincent muß die Brust schwellen bei dieser Sache.«
»Er wirkte heute morgen ganz zufrieden.«
»So ist’s richtig, Roddie. Alles hören, alles sehen, aber nichts sagen. Aber du bekommst unsere kleine Miss Mortenhoe, das kannst du mir glauben.«
Ich sah, wie er sich durch den Korridor und um eine Ecke wälzte. Seine kleine Miss Mortenhoe war einen Meter siebenundsiebzig groß, zweimal verheiratet, vierundvierzig Jahre alt, hatte ein Gesicht wie eine Politikerin und eine Figur, von der sie nicht viel hielt, so daß auch ihre Umwelt keine hohe Meinung davon hatte. Ich wußte ferner, daß sie weitaus mehr als er zu leiden imstande war. Imstande. Zu weitaus mehr imstande.
Mein Hochgefühl schwand. Vincent hatte den Namen Katie Mortenhoe so präzise durchsickern lassen, daß bereits überall im Haus davon geredet wurde – und morgen wahrscheinlich in der ganzen Stadt.
Ich glaube mich zu erinnern, daß ich an jenem Abend in ein Kino ging. Vielleicht auch in ein Kasino. In meiner Erinnerung verschwimmen all die Kinos und Kasinos. Fest steht jedenfalls, daß ich nicht nach Hause fuhr. Wenn man nicht schlief, was nützte dann ein Heim?
Katherine war früh aufgewacht an jenem Morgen. Ihren Schlaf hatte sie Dr. Mason zu verdanken, und auch beim Erwachen fühlte sie unwillkürlich seine Hand im Spiel. Es würde einen Morgen geben, da sie nicht mehr erwachte und auch nicht mehr schlief. Er hatte ihr das Leben zugemessen, vier Wochen, achtundzwanzig Tage, plus oder minus einen Tag. Er war nicht gerade großzügig gewesen. Nun also wohl noch siebenundzwanzig Tage, plus oder minus einen Tag.
Sie empfand Panik bei dem Gedanken an die verstreichenden Stunden. Sie richtete sich auf, schob hastig die Bettdecke weg.
Wozu?
Sie zog die Decke wieder hoch, legte sich zurück und betrachtete das Sonnenlicht des jungen Frühlings an der Decke. Würde die Sonne jetzt jeden Tag für sie scheinen? Sie erinnerte sich an die Sommerferien eines fernen Jahres, an einen Kinderspielplatz mit Paddelbooten, ein winziges Dorf für Meerschweinchen, Schaukeln für ihre Puppen, Sonnenschein – und an den Hubschrauberlandeplatz daneben mit den regelmäßigen Abflügen zurück in die Stadt. Sie war damals sechs
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