Tod Live
nur verwirrt. Sie wahrscheinlich auch.«
»Wir nicht«, sagte Katherine. »Wir haben ein automatisches Überlegenheitsgefühl. Sehr beruhigend. In einer Welt, in der sich jeder für überlegen hält, gäbe es keine Kriege mehr.«
Sie schlug sich wirklich ausgezeichnet. Natürlich hätte ich das gleich wissen müssen. Margaret lachte. »Funktioniert das auch zwischen Mann und Frau?«
»Mehr denn je. Ich weiß, ich bin John überlegen, und er – der arme Narr – hält sich seinerseits für überlegen. Deshalb kommen wir so gut miteinander aus.«
Eine zweite Frau, nervös, sich ihrer langen Zähne bewußt, trat zu unserer Gruppe. »Aber wer«, fragte sie und straffte die Oberlippe, »wer liegt dann unten, und wer oben? Das will ich wissen.«
Und da hatten wir’s – nach knapp dreißig Sekunden redeten wir über Sex. Wenn wir Randgruppenleute nicht nach Rauschgift gefragt wurden, dann nach Sex. Kein Wunder, daß wir so beneidet wurden.
»Bitte, keine technischen Einzelheiten«, sagte Margaret hastig. »Dazu ist es noch viel zu früh.«
Enttäuscht bedeckte die Frau ihre Zähne.
Katherine wußte, daß sie verrückt wurde. Sie hörte sich Dinge sagen, die sie verabscheute, unmögliche Dinge. Und hörte sich lachen, lachen… In diesem Raum war sie ein Ausstellungsstück wie auf der Bühne, als stünde sie vor Vincent Ferrimans Kameras. Und sie hatte Spaß daran, jedenfalls ein Teil von ihr. Vielleicht, weil es ein Spiel war. Eine Lüge. Sie, die sie in die Wahrheit hatte fliehen wollen, genoß die Lüge.
Menschen starrten ihr ins Gesicht, schrecklich grelle Leute. Manchmal hörte sie sie auch. »Die Gesellschaft ist korrupt. Haben Sie deshalb nichts dagegen, davon zu leben?«
»Korruption ist doch nichts Schlimmes. Schauen Sie mal in Ihr Wörterbuch. Aus der Korruption erwachsen die schönsten Lilien.«
»Hört sich nach Bibel an – denken Sie an die Lilien auf dem Felde?«
»Weiß ich nicht. Ist mir eben erst eingefallen. Vielleicht waren es nicht dieselben Lilien.«
Gelächter. Gelächter. Die Antworten waren so dumm wie die Fragen. Manchmal wanderte Katherine einfach zwischen den erschreckten, den schrecklichen Leuten hindurch und murmelte vor sich hin.
Sie bekam etwas zu essen und schlang es hinunter. Man reichte ihr Drinks, und sie trank.
Die Stellen, an denen sie stand, waren manchmal sehr hell, manchmal sehr dunkel. Irgendwo schwelte Musik, und die Leute tanzten formlos. Alle tanzten und lachten – nackt, nur sie nicht nackt –, und ein Pfad führte zwischen ihnen hindurch, über Stufen hinauf, durch Musik, durch Äonen des Rots zu Rod, eine winzige Gestalt in der Ferne, größer werdend, als sie darauf zurannte.
Sie erreichte ihn, drückte ihn an sich, spürte, wie er ihr gleich einer Rauchwolke aus den Armen glitt. Doch der Pfad hatte sich hinter ihr geschlossen, und er war da, noch immer da. Noch immer. Da. Rod. Sie umfaßte seine Arme, seine Hüften, seine rauchigen Lenden. Ringsum jubelten stumm die Leute, riesige Münder über vibrierendem Rosa und Orange und Blau. Das war keine Lüge mehr; sie wußte es. Er war wütend, erhob Einwände, schüttelte den Kopf, schüttelte seinen Kopf, schüttelte ihren Kopf.
Kalt war es nun, das Gesicht gegen seine rauchigen Lenden gedrückt, und schwitzend wartete sie. Sie spürte sein Ungestüm, seine Abwehr. Sie wartete. Und die Münder klafften.
Sie nahmen sie ihm fort. Da war eine Maschine auf riesigen leisen Rädern, glatt und schön. Sie plazierten die Maschine neben sie, um sie. Sie wunderte sich – jetzt ohne Angst – über die schrecklichen Spielzeuge der Reichen. Sex lag in der Luft, in dem glatten und herrlichen Treiben der Maschine. Sie nahm sie seufzend auf. Rod wurde in der Ferne festgehalten, mit offenem Mund zuschauend. Die Geräusche brachen über ihr zusammen, wortlos, verebbten zu plötzlicher Stille, und nur der dünne Faden der Musik und der Atem der Maschine blieben, die ihr ins Gesicht hauchte. Sie wehrte sich nicht. Die Bewegung in ihrem Körper war nicht schmerzhaft, nur trocken und ermüdend. Sie schaute hinauf, an der Maschine vorbei, wo Rod in den zuckenden Lichtflocken stand. Er hatte den Mund geschlossen, und Tränen schimmerten auf seinen Wangen.
Später waren die Räume ziemlich leer. Nur sie beide. Katherine richtete sich auf. Unglaublich – er hatte ein Fernsehgerät gefunden und verfolgte ein Programm. Einige Meter entfernt, hinter lächerlich aufgedunsenen Polstergebilden, war sein Gesicht vom purpurnen
Weitere Kostenlose Bücher