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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Bus zum Westring. Wegen der Demonstranten fuhren die Linien nicht weiter.
    Unterwegs hatte sie einen ihrer Schüttelfrostanfälle, doch sie nahm sich hübsch zusammen, und ich mußte mehrere Großaufnahmen machen, um die Sache für die Zuschauer klarzustellen. Am meisten waren ihre Hände betroffen. Wir unterhielten uns mangels anderer Themen über die politische Situation. Ich hatte einige Zeit nicht gearbeitet und wußte eigentlich nicht genug für meine Rolle, aber sie kannte sich noch weniger aus. Jedenfalls war sie noch nicht bereit, über die Sache zu sprechen, die uns beide am meisten interessierte.
    Der Bus setzte uns in Sichtweite der Ringstraße ab. Katherine war aufgeregt und eilte auf die Demonstranten zu, als fürchte sie, zu spät zu kommen und etwas zu verpassen. Die Leute würden wahrscheinlich noch demonstrieren, wenn sie längst tot war. Ihre idiotischen Holzpantinen saßen locker, und sie wäre fast gestürzt. Ich wollte sie nicht beobachten. Sie war wie ein Kind beim ersten Besuch im Zoo. Ich glaube, dies war der Moment, als ich es aufgab, all die verschiedenen Katherine Mortenhoes zusammenfügen zu wollen. Irgend etwas kam schon dabei heraus. Und vieles würde vergnüglicher werden, als ich angenommen hatte.
    Ich holte sie ein. Der Anblick der Demonstranten berührte mich unangenehm. »Sie lösen sich ab«, sagte ich. »Tag und Nacht. Rund um die Uhr, rings um die Stadt. Wie weiße Mäuse.«
    »Jetzt sind Sie aber ungerecht. Wenigstens haben diese Leute ihre Überzeugungen, wie die auch immer aussehen mögen.«
    »Ja«, sagte ich, »wie weiße Mäuse.«
    Ich wollte, daß sie mir widersprach, aber sie hielt den Mund. »Wir alle sind Mäuschen«, sagte sie danach ziemlich kühl, und ich schämte mich, daß ich ihr die Stimmung verdorben hatte. Einige Demonstranten winkten uns zu, wollten, daß wir mitmachten, und ich legte Katherine einen Arm um die Schulter und schüttelte den Kopf, und sie lachten und gingen weiter, und ich sagte: »Die glauben, Sie sind mein Mädchen«, und auch das verpuffte.
    Sie löste sich aus meinem Griff und drängte sich durch die Reihen der Marschierenden. In ihren fummeligen Sachen gehörte sie nicht dazu, aber sie wurde durchgelassen. Auch ich kam durch. Wenigstens saß keiner von uns beiden in einem nagelneuen 300-PS-Schlitten.
    Auf der anderen Straßenseite wartete sie auf mich, an einen Laternenpfahl gelehnt. »Sie haben mir sehr geholfen«, sagte sie. »Jetzt möchte ich aber allein weitermachen.«
    »Bitte sehr.« Ich deutete auf die lange, gerade Straße vor uns. »Aber wir haben nur eine Straße. Möchten Sie lieber vor mir oder hinter mir gehen?«
    Ich wußte, ich mußte vorsichtig sein. Was ich auch machte, es war ein Risiko: Sie konnte sich einfach hier hinsetzen und mich allein weiterziehen lassen. Da hätte ich dann in meiner eigenen Grube festgesessen.

    Er machte sich über sie lustig. Sie war alt und naiv und lächerlich gekleidet und hatte kaum Humor, und sie mochte es nicht, wenn sie verspottet wurde. Sie setzte sich schwer auf ihren Schlafsack und ignorierte die zahlreichen Wagen, die auf eine Lücke im Demonstrationszug warteten.
    »Gehen Sie zuerst«, sagte sie. »Jugend vor Schönheit.«
    Er ging los. Einige Meter weiter kehrte er um. »Hören Sie, es tut mir leid, wenn ich unhöflich war. Ich hab’s ernst gemeint, als ich Ihnen meine Hilfe anbot.«
    Sie las Schuld in seinem Gesicht und auch ein Gefühl von Verantwortung. Sie war niemandes Verantwortung und für niemanden verantwortlich. Nicht mehr. »Sie haben mir sehr geholfen, und dafür bin ich Ihnen dankbar. Aber jetzt muß ich es allein schaffen. Nennen Sie’s weiblichen Stolz.«
    Weil sie glaubte, er wollte es, ließ sie ihm keine Chance.
    »Bitte sehr.« Er zuckte die Achseln und marschierte die Straße hinab. Sie spürte seine Erleichterung. Fünfzig Meter entfernt, warf er einen Blick zurück, und noch einen nach hundert Metern. Sie sah zu, wie er kleiner wurde. Sie war frei.
    Am Straßenrand stauten sich die Wagen vor geschlossenen Sonntagvormittagsläden und verlassenen Sonntagvormittagsbürgersteigen. Die andere Fahrbahn lag schwarz und gerade und leer vor ihr. Hinter ihr wanderten die Demonstranten vorbei, eine fürchterliche Schlange, schweigend, wie Ameisen. Oder wie Mäuse. Es gab keinen Zorn mehr in ihr, keinen Harry, keine Barbara, keine Leiderklärung, keinen Vincent. Keine Pläne mehr, keine Alternativen. Keinen Rod mehr. Sie war niemandes Verantwortung und war für niemanden

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