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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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und deshalb war sie vor ihm sicher. Und ihre neue Freiheit bedeutete, daß sie sich anfreunden konnte, mit wem sie wollte. Daß sie sich überhaupt anfreunden konnte.
    Er sagte, er heiße Rod. Sie erwiderte, ihr Name wäre Sarah – so hatte ihre amerikanische Stiefmutter geheißen, Sarah, Saree. In diesen Kreisen wurden offenbar keine Nachnamen erwähnt. Ebensowenig wie die Vergangenheit. Er bewunderte ihre Kleidung, nannte sie fummelig, doch ohne die Verachtung der jungen Frau im Containerdepot. Sie wünschte, sie wüßte mehr über die Sitten und Gebräuche der Leute, zu denen sie hier gekommen war. Seine Kreise waren wirklich nicht ihre Kreise – unter anderen Umständen wäre er mit seinen ganz ansehnlichen Jeans und seinem Pullover ein eingeschworener Feind gewesen. Sie war froh, daß er sie akzeptierte. Er war jung und stark und selbstbewußt – all das, was sie nicht war. Das Morgen ängstigte sie. Er hatte gesagt, er wollte die Stadt verlassen. Wenn er noch immer Interesse hatte, würde sie mitkommen, wenigstens bis sie Vincents wachsame Stadt hinter sich gelassen hatte.
    Zur Schlafenszeit blieb eine einsame, gelbe Glühbirne oben am Gewölbe eingeschaltet. Für Späterkommende, sagte der Vikar, und sie war dankbar dafür. Ihr Tag des Handelns und nicht Grübelns war fast vorbei. Sie wußte, daß sie so schnell nicht einschlafen konnte, und fürchtete sich vor der Dunkelheit; in der Schwärze blieb ihr nur noch das Grübeln.
    Sie lag da und starrte auf das herabhängende Gewebe der Matratze des Oberbettes. Sie dachte an die Frau, die darauf lag. Würde sie sich morgen früh vollmachen, diese Frau, für die sie eigentlich Mitgefühl aufbringen sollte, die aber für sie nur ein Bündel bindfadengeschnürter Decken war, unvorstellbar alt, mit armen, geschwollenen Händen und einer Art, ihren Tee zu trinken, als bestünde die Welt in diesem Augenblick nur aus Tee – würde sie sich beschmutzen?
    Katherine dachte an Vikar Pemberton, der sich in den Mauern ringsum verwirklichte. Sein Heim war ein natürlicher Ausgangspunkt für sie. Er hatte sie sofort hineingelassen, wie er auch den Kummer der anderen Frau am Telefon hingenommen hatte. Vielleicht brauchte er tatsächlich die fremden Sorgen, um zu leben. Obwohl sie das eigentlich nicht mehr annahm, seitdem sie ihn von Angesicht gesehen hatte, ungeschickt, sich antreibend, ohne Distanz durch das Telefon. Er war von größeren Bedürfnissen erfüllt. In seiner Sakristei, über dem Tisch, ein Schild: »Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid.«

    Der Morgenschüttelfrost gehörte nun schon fast dazu. Sie erwachte, sah die Dunkelheit und ärgerte sich. Nach dem Frühstück hatte sie einen weiten Weg vor sich, und sie brauchte ihren Schlaf. Auch stellte sie fest, daß sie schwitzte. Das war neu. Sie sah sich um und bemerkte zu ihrer Erleichterung, daß Rod auch nicht schlafen konnte und sich an die Mauer hinter seinem Bett gelehnt hatte. Dann schienen ihre Augen auseinanderzugehen, und plötzlich sah sie zwei Rods, die in unkontrollierbarer, gleichmäßiger Bewegung hin und her zuckten. Dr. Masons Worte klangen ihr in den Ohren: Schüttelfrost, Lähmungen, Schweißausbrüche, Verlust der Bewegungskoordination, Doppelsichtigkeit, Nachlassen der Körperfunktionen, Halluzinationen, ein zunehmender Zusammenbruch, der…
    Sie schloß die Augen, hoffte, daß sie wenigstens ihre Körperfunktionen im Griff behielt, bis sie das Heim verlassen hatte.
    Im nächsten Augenblick saß Rod neben ihr auf dem Bett. Sie fragte sich nach dem Grund. »Habe ich Sie geweckt?« fragte sie.
    »Nein. Aber ich schlafe nicht viel. Ich habe gesehen, daß Sie wach sind, und da…«
    »Ich nehme kein Rauschgift.« Sie wollte, daß er das wußte. »Ich hab’ nur so eine Sache, eine – Art Malaria.« Malaria war eine Krankheit, wie Aimee Paladine sie verwendete. Eine saubere Sache: Man lag da und zitterte und wurde brav wieder gesund.
    »Nicht sprechen«, sagte er. »Sie wecken nur die anderen.«
    Sie streckte die Hand unter dem Bettzeug hervor und griff nach ihm. Wenn sie die Augen schloß, fiel ihr diese Geste leichter, war sie weniger ein Eingeständnis. Nach kurzem Zögern überließ er ihr seine Hand. Das Zögern machte ihr nichts – schließlich bot sie ja keinen appetitlichen Anblick –, doch sie war froh, daß er sich überwand.

SONNTAG

    Als Katherine erwachte, strömte Sonnenlicht rot und blau durch die Fenster hoch über ihrem Bett. Sie erinnerte sich sofort an die

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