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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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verantwortlich. Sie war aller dieser Ausflüchte ledig. Frei, sich an ihrem weiblichen Stolz die Hände zu wärmen.
    Sie erschauerte, nicht weil ein Schüttelfrost sich ankündigte, sondern weil sie fror.
    Als Rod schließlich um eine ferne Ecke verschwunden war, stand sie auf und ging langsam in die gleiche Richtung. Sie hatte eine wichtige Feststellung gemacht. Ihre Freiheit war so beschränkt und so pragmatisch wie je. Nach der Busfahrt hatte sie noch acht Pfund achtundsiebzig und noch etwa dreiundzwanzig Tage, den Betrag auszugeben. In das Kirchenheim konnte sie nicht zurück, und das offene Land – das vielleicht doch nicht so viele Liebesnest-Heuhaufen enthielt, wie Ethel Pargeter andeutete – schien noch immer ziemlich weit entfernt. Außerdem hatte Vikar Pembertons Wohlfahrtsfrühstück nicht gerade die Kost geboten, die sie gewöhnt war. Und schließlich hatte sich der gestrige Regen zwar verzogen, doch die frühmorgendliche Sonne war verschwunden, und der Tag war grau und kühl; es mochte jederzeit wieder regnen.
    Sie schritt langsam aus, da sie Rod nicht einholen wollte. Als Mensch trauerte sie ihm nicht nach – das war Unsinn gewesen gestern nacht –, aber sie mußte zugeben, daß er vielleicht als Kenner ihrer neuen Welt wertvoll gewesen wäre. Sicher konnte man würdevoll sterben, auch wenn man frierend und durchnäßt und hungrig an einer städtischen Ausfallstraße stand… Aber eine solche Situation bereitwillig hinzunehmen oder sogar anzustreben, schien ihr doch fast vulgär zu sein.
    Also zuckte sie nicht zurück, als sie die jetzt nicht mehr ferne Ecke umrundete und ihn am Straßenrand sitzen sah, einen Stiefel ausgezogen, seinen Fuß betastend. Und als sie näher kam und er ihr seine Blase nicht zeigen wollte, sondern hastig Socke und Stiefel wieder überstreifte, meinte sie, daß es an der Zeit sei, Kompromisse zu machen.
    »Wir sind keine besonders flotten Wandervögel«, sagte sie. »Vielleicht sollten wir uns mitnehmen lassen.«
    Langsam schnürte er seinen Stiefel zu. »Haben Sie uns beide mal im Spiegel gesehen?« fragte er schließlich. Sie war froh über seine Knurrigkeit. »Sie haben die Seiten gewechselt, Katherine Mortenhoe. Leuten wie uns schenkt man nichts. Wir sind untätig und haben ein zu starkes Geschlechtsleben. Und wir stinken.« Er stand auf. »Wir wandern so weit wir können, dann suchen wir uns etwas Warmes und Gemütliches – vielleicht das Regendach einer Bushaltestelle.«
    »Warum dann nicht gleich einen Bus nehmen?«
    »Die nächste Wohlfahrtszahlung gibt’s in vier Tagen und fünfzig Meilen von hier. Wir sind Obdachlose. Rechnen Sie sich’s selbst aus.«
    Sie rechnete. »Also gut, dann laufen wir.«
    Er nahm ihr den gefüllten Schlafsack ab, ohne daß sie Einwände dagegen erhob, und sie wanderten los. Wagen kamen schubweise vorbei, wie die Demonstranten sie durchgelassen hatten. Die Gegenfahrbahn stand voll mit Fahrzeugen, die sich nur gelegentlich und dann Meter für Meter vorwärtsbewegten.
    »Müssen wir hier gehen?« fragte Katherine.
    »Es ist der schnellste Weg.«
    »Wohin? Wohin wollen wir denn?«
    »Aus der Stadt. Sie haben gesagt, Sie wollten aus der Stadt.«
    Sie fragte ihn nicht, was sie tun würden, wenn sie ihr Ziel erreichten, wenn sie aus der Stadt waren. Ihr Plan war gar kein Plan gewesen: eine gemütliche Scheune, eine Höhle in einem Hügel, eine Laube, ein Traum von Keats, ein Nirgendwo. Sie gingen weiter. Katherine bemerkte, daß Rod zwischendurch humpelte und es dann wieder vergaß. Irgendwie würde alles gut werden.
    »Gestern nacht«, sagte sie plötzlich, »als Sie mich erkannten, was haben Sie da gedacht?«
    »Sie meinen – ob ich mir ein Urteil über Sie gebildet habe?«
    Natürlich bildete sich ein Mensch seiner Sorte – jetzt also ihrer Sorte – kein Urteil. »Nein, ich meine, wie haben Sie herausgefunden, was geschehen war?«
    »Ich hatte die Zeitungen gelesen. Und es war vernünftig.«
    »Nehmen Sie’s mir nicht übel, daß ich all das Geld genommen habe?«
    »Sagen wir, ich war überrascht.«
    Sie kam nicht weiter. Aber sie brauchte eine Einstellung. Einstellungen grenzten ihre Gedanken ab, wie Uhren ihre Handlungen abgrenzten. »Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen«, sagte sie.
    »Nicht immer. Meistens führen verzweifelte Situationen zu schlichter Verzweiflung.«
    Sie hatte angenommen, sie führe das Gespräch, sie taxiere ihn. Jetzt war ihr fast, als sei die Lage genau umgekehrt. Und sie war noch nicht

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