Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
nicht meine einzige Klientin.«
»Sie ist aber meine einzige Klientin.«
»Nein, van Heerden, ich bin Ihre einzige Klientin. Und im Moment bin ich mit Ihnen nicht besonders zufrieden.«
Er konnte sich nicht mehr länger beherrschen. »Das ist mir egal.« Er drehte sich um und schritt in den Regen hinaus, blieb
dann mitten auf der Long Street stehen und sah zu ihr zurück. »Suchen Sie sich einen anderen, den Sie verarschen können.«
Und dann fiel ihm noch ein: »Und was für ein beschissener Vorname ist Kara-An überhaupt?« Er ging die zwei Straßenzüge zu
seinem Auto, auf den Regen achtete er nicht mehr.
Er warf die nassen Kleidungsstücke in eine Ecke des Badezimmers und ging nackt ins Schlafzimmer. Er öffnete den Schrank und
suchte wütend nach Jeans, einem Hemd und einem Pullover. Er hatte es nicht nötig, dachte er zum wiederholten Mal. Lieber würde
er hungern. Er ließ sich nicht verarschen. Nicht von ihr, nicht von Kemp, nicht von einem Haufen fetter Zahnärzte. Das hatte
er nicht nötig. Es war ihm egal.
Wen interessierte es schon, wenn es Geld dafür gab, nur um sich verarschen lassen zu müssen?
Wen interessierte überhaupt irgendetwas? Niemanden. Genau. Ihn auch nicht. Er war frei. Frei. Frei von den Abhängigkeiten, |77| an die andere Menschen gebunden waren, vom unablässigen Streben nach nichts, von der endlosen Anhäufung von Statussymbolen,
der leeren, sinnlosen Vorortexistenz. Er stand über allem, war frei von den großen und kleinen Betrügereien, den Lügen und
Täuschungen, Irreführungen, dem Misstrauen, den Spielchen.
Scheiß auf sie.
Bald würde er zu ihrem Büro fahren und das, was von ihrem beschissenen Vorschuss noch übrig war, der gelackten Rezeptionistin
auf ihren ebenso gelackten Empfangstisch knallen und ihr sagen, sie solle Hope Beneke mitteilen, dass er das Geld nicht bräuchte.
Weil er frei war.
Er schnürte seine Turnschuhe und stand auf. Im Haus war es düster, trotz des frühen Nachmittags. Kalt. Sein Haus war kalt
im Winter. Eines Tages würde er sich einen Heizstrahler anschaffen müssen. Einen offenen Kamin bauen lassen. Er ging durch
das zu kleine Wohnzimmer zur Tür, er wollte sich in Table View einen Drink gönnen.
Scheiß auf sie.
Sie waren doch alle gleich. An einem Tag ist Wilna van As die wichtigste Klientin überhaupt, weil nur noch sieben Tage Zeit
sind, und, ach, wir müssen der armen Frau helfen, weil sie sich doch ihr Leben lang für diesen Mann aufgearbeitet hat (als
hätte sie keine andere Wahl gehabt), und am nächsten Tag ist es Caroline von Monaco oder wer auch immer, die Vorsitzende der
nationalen Pressevereinigung oder wie das beschissene Ding auch heißen mochte, und alles, was Hope Beneke sah und hörte, waren
klingende Münzen. So machten sie es alle. Ihre Loyalität galt immer nur für die nächsten vierundzwanzig Stunden.
Er schloss die Tür.
|78| Aber nicht mit ihm. Er war frei.
Hinter der geschlossenen Tür klingelte das Telefon.
Scheiß drauf.
Anwälte. Blutsauger. Parasiten.
Das Telefon klingelte.
Er zögerte.
Wahrscheinlich Hope Beneke. »Tut mir Leid, van Heerden, kommen Sie zurück, van Heerden, ich bin eine dumme Kuh, van Heerden.«
Scheiß auf sie. Scheiß auf alle anderen.
Das Telefon hörte nicht auf zu klingeln.
Er zischte durch die Zähne, steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete und ging zum Telefon.
»Ja«, sagte er, bereit, auf sie loszugehen.
»Mr. van Heerden?«
»Ja.« Eine unbekannte Stimme.
»Ngwema. Staatliche Meldestelle.«
»Oh.«
»Pretoria sagt, Ihre Personalausweisnummer ist falsch.«
»Pretoria?«
»Ich hab mit Engelszungen geredet, meinte, es handelt sich um einen Notfall. Aber Ihre Personalausweisnummer ist falsch. Sie
gehört jemand anderem. Einer Mrs. Ziegler.«
Er zog sein Notizbuch zu sich heran, schlug es auf und las Ngwema die Nummer vor.
»Genau die hab ich ihnen geschickt. Aber sie ist falsch.«
»Scheiße.«
»Was?«
»Entschuldigung«, sagte van Heerden. »Aber das ist nicht möglich.«
|79| »Das sagt der Computer. Und der irrt sich nie.«
»Aha.« Er dachte nach. Er hatte die Nummer aus O’Gradys Akte. Jetzt würde er nach dem Personalausweis suchen müssen.
»Nicht schlecht, was?«, sagte Ngwema.
»Was?«
»Ich sagte, nicht schlecht. Zwei Stunden und siebenunddreißig Minuten, nachdem wir Ihre Anfrage bekommen haben. Nicht schlecht
für Schwarze, die nach afrikanischen Zeitvorstellungen arbeiten.« Und Ngwema kicherte leise
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