Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
Abgrund spülte, als bequeme
psychologische Ausflucht für mein Leben, das den Bach runterging. Aber ich glaube, das ist nicht möglich. Meine Mutter erzog
mich mit Gelassenheit und Geduld. Behandelte mich mit Respekt und Verständnis und Strenge, liebte mich, bestrafte mich und
sorgte für mich — auch wenn unser Essen, wenn keine Freunde zu Besuch waren, hauptsächlich aus Brot und Obst bestand. Sie
spielte Beethoven, Schubert, Haydn und Bach (J. S. und, seltener, C. P. E.), ohne mir ihre Musik aufzuzwingen. Und später,
als ich Bachman Turner Overdrive und Black Sabbath hören wollte, hielt sie sich mit ihrem Geschmack zurück. Ich nahm an, sie
wusste, welche Musikrichtung mich langfristig begleiten würde.
Es waren sichere Jahre. Bis ich sechzehn wurde. Bis ich Mozart und Bücher und Essen und Sex entdeckte und den langen Arm des
Gesetzes kennen lernte.
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Er war wach, lange bevor der Wecker um fünf Uhr klingelte. Er lag in der Dunkelheit, starrte an die Decke und wartete auf
das elektronische Piepen. Er schaltete das Gerät aus, schwang die Beine aus dem Bett, überprüfte die Schmerzen in seinem Körper.
Die Rippen taten etwas weniger weh, das Auge pochte noch. Im Lauf des Morgens würde es sich purpurrot verfärben. Es war nicht
sein erstes.
Er ging in die Küche. Das Tongeschirr war ordentlich im Abtropfständer gestapelt. Er setzte den Kessel auf. Die Kälte drang
durch den alten abgetragenen Polizei-Trainingsanzug. Er schüttete Instantkaffee in eine Tasse, wartete, bis das Wasser kochte,
goss es über die Körnchen, gab Milch zu, ging in den Wohn- und Essbereich, stellte den Kaffee auf einen kleinen Tisch. Suchte
nach der CD, die er hören wollte. Ein Klarinettenkonzert. Drückte auf die Knöpfe an der tragbaren Stereoanlage, setzte Kopfhörer
auf, ließ sich nieder, nahm einen Schluck. Stellte die Lautstärke nach.
Seit dem vergangenen Tag hatte er gewusst, dass er über Nagel nachdenken musste. Seit dem Augenblick im Büro der Anwältin.
Wir … Nagel und ich haben einen Vergewaltiger festgenommen, der es auf Kinder abgesehen hatte,
hatte er sagen wollen.
Dies alles erinnerte ihn so sehr an das, was er früher einmal getan hatte. Es war das erste Mal … das erste Mal seit seinem
Abschied. Das erste Mal, dass er wieder nach einem |68| Mörder suchte. Deswegen würde er an Nagel denken müssen. Ganz normal. Er musste nur vorsichtig sein. Er konnte an Nagel denken,
an alles, was Nagel ihm beigebracht hatte. Er musste nur innerhalb dieser Grenzen bleiben. Dann würde ihm nichts geschehen.
Jetzt die Parameter festlegen. Dann konnte er weitermachen.
Jan Smit.
Schau dir die Sache von allen Seiten an:
Nagel mit seiner tiefen Bassstimme, dem hüpfenden Adamsapfel, Nagel, der kein Wort herausbrachte, als es darum ging, sein
Leben zu retten.
Mordfälle, van Heerden, sind wie mein verdammter Plastikpool. Auch wenn alles blau und frisch aussieht und die Sonne auf dem
Wasser glitzert, irgendwo gibt’s immer ein beschissenes Leck. Wenn wir überall suchen, finden wir es auch.
Er schrieb in sein Notizbuch:
1. Nachbarn
Dann lehnte er sich zurück, dachte nach, schrieb:
2. Manie Meiring Transport
3. Art der Firma?
4. Firmenregister (Referenzen) (??)
5. Meldestelle (??)
Er lehnte sich zurück und trank etwas Kaffee. Welche Seiten gab es noch zu beachten?
6. Stammkunden/wichtige Kunden?
7. Bank?
|69| Das war alles, was er hatte.
Er kaute auf seinem Stift, trank einen Schluck Kaffee, legte den Stift weg, schloss die Augen.
Es war nicht so schlimm gewesen. Er konnte Nagel außen vor lassen.
Er lauschte der Musik.
Kurz vor der Pokadraai-Kreuzung bemerkte er die Seitenwände der großen Laster. MMT war in großen dunkelroten Lettern darauf
geschrieben, durchbohrt von einem Pfeil, der Tempo suggerieren sollte. Er bog ab und fuhr durch Wasser- und Schlammpfützen
zu dem kleinen Gebäude, dessen Schild es als
Büro/Empfang
auswies. Die dunklen Wolken hingen tief, bald würde es regnen. Er stieg aus. Der Wind war heute noch kälter. In den Bergen
würde es wahrscheinlich schneien.
Eine Frau saß hinter einem Computer und telefonierte.
»Der Laster sollte mittlerweile angekommen sein, Dennis, sie sind hier rechtzeitig losgefahren, aber du weißt ja, wie das
ist, im Tunnel, vielleicht hat ihn auch ein verdammter Verkehrspolizist rausgewunken …«
Sie war blond und übergewichtig, lächelte van Heerden an, einer ihrer Zähne
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