Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
vor sich hin.
Hope Beneke hörte Kemp am Telefon seufzen. »Wollen Sie, dass ich noch mal mit ihm rede?«
»Nein danke. Es reicht. Er ist … labil.«
»Nein, warten Sie … Sind Sie ihm gegenüber standhaft geblieben?«
»Ja, das war ich. Offensichtlich hat er Probleme mit Frauen in Führungspositionen.«
»Er hat mit
allen
in Führungspositionen Probleme.«
»Gibt es einen anderen?«
Kemp lachte. »Im Telefonbuch gibt es ganze Heerscharen von Privatdetektiven. Und die sind alle ganz heiß drauf, für Hausfrauen
Bilder vom heimlichen Geturtel ihrer Ehemänner mit deren Sekretärinnen zu knipsen. Aber bei einer Sache wie dieser sind sie
völlig überfordert.«
»Es muss doch jemanden geben.«
»Van Heerden ist der Beste.«
»Was genau hat er für Sie bislang gemacht?«
»Dieses und jenes.«
|80| »Dieses und jenes?«
»Er ist gut, Hope. Ihm entgeht nicht viel. Sie brauchen ihn.«
»Nein«, antwortete sie.
»Ich werde mich mal umhören.«
»Das würde mich freuen.«
Sie verabschiedete sich und legte den Hörer auf. Sofort klingelte das Telefon erneut.
»Eine Mrs. Joan van Heerden will Sie sprechen«, sagte die Rezeptionistin. »Sie hat keinen Termin.«
»Die Künstlerin?«
»Das weiß ich nicht.«
»Bitten Sie sie herein.«
Der Tag war bislang wie ein Bild von Dalí gewesen, dachte sie. Überall warteten surrealistische Überraschungen auf sie.
Die Tür ging auf. Die Frau, die eintrat, war klein und schlank, attraktiv, Ende fünfzig oder Anfang sechzig, sie trug ihr
Alter mit Anmut. Hope erkannte sie und stand auf.
»Das ist wirklich eine Ehre, Mrs. van Heerden«, sagte sie. »Ich bin Hope Beneke.«
»Hallo.«
»Nehmen Sie doch bitte Platz. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Nein danke …«
»Ich bewundere Ihre Werke sehr. Natürlich kann ich mir noch keines leisten, aber eines Tages …«
»Das ist sehr nett von Ihnen, Miss Beneke.«
»Nennen Sie mich bitte Hope.«
»Joan.«
Dann kamen sie zur Sache.
|81| »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin wegen Zatopek hier. Aber sagen Sie ihm das bitte nicht.«
Hope nickte, sie wartete auf weitere Informationen.
»Es ist nicht einfach, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich bin hier, weil ich Sie bitten wollte, geduldig zu sein.«
»Kenne ich ihn?«
Joan van Heerden runzelte die Stirn. »Er hat mir letzten Abend erzählt, dass er für Sie arbeitet. Er sucht nach einem Testament.«
»Van Heerden?«
»Ja.«
»Sie kennen ihn?«
»Er ist mein Sohn«, sagte Joan van Heerden.
Hope sank in ihren Schreibtischsessel zurück. »Van Heerden ist Ihr Sohn?«
Sie nickte.
»Großer Gott«, sagte Hope. Und dann sah sie die Ähnlichkeit in den Augen, deren dunkelbraune Farbe, die eindringliche Intensität.
»Zatopek?«
Joan lächelte. »Mein verstorbener Mann und ich hielten ihn vor vierzig Jahren für einen wunderbaren Namen.«
»Mir war nicht bewusst …«
»Er macht darüber nicht viel Aufhebens. Ich denke, es ist für ihn eine Frage der Ehre. Er will die Verbindung nicht nutzen,
sie missbrauchen.«
»Das war mir nicht bewusst.« Es fiel ihr noch immer schwer, diese beiden Menschen, Mutter und Sohn, in Einklang zu bringen:
Hier die berühmte Künstlerin, gut aussehend, distinguiert … dort ihr missratener Sohn.
|82| »Er hat schwere Zeiten hinter sich, Hope.«
»Ich … er … ich denke, er arbeitet nicht mehr für mich.«
»Oh.« Enttäuschung.
»Heute Mittag hat er … er …« Sie suchte nach einer höflichen Umschreibung; sie empfand große Sympathie für die Frau. »Es ist
schwierig, mit ihm zu kommunizieren.«
»Ich weiß.«
»Er hat … gekündigt, nehme ich an.«
»Das wusste ich nicht. Ich wollte Sie vorbereiten.«
Hope machte eine Handbewegung, eine Geste der Hilflosigkeit.
»Ich bin nicht hier, um mich für ihn zu entschuldigen. Ich dachte nur, wenn ich Ihnen erklären würde …«
»Das brauchen Sie nicht.«
Sie beugte sich etwas vor und fuhr mit weicher Stimme fort: »Er ist mein einziges Kind. Ich muss für ihn tun, was ich kann.
Er ist ohne Vater aufgewachsen. Er war ein wunderbares Kind. Ich dachte, ich hätte es geschafft, auch als Alleinerziehende.«
»Joan, Sie müssen nicht …«
»Doch, Hope.« Sie klang entschieden. »Es war meine … unsere Entscheidung, ihn auf die Welt zu bringen. Ich muss mich meiner
Verantwortung stellen. Ich muss die Fehler, die ich begangen habe, wieder gutmachen. Ich dachte, ich könnte ihm Mutter und
Vater zugleich sein, wenn ich mich nur genügend
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