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Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman

Titel: Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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gefragt: ›Weißt du, dass du deiner Mutter das Herz |248| brichst? Sind dir meine Gefühle denn vollkommen egal?‹ Das habe ich mit dir nie gemacht. Welche Gefühle bei mir hervorgerufen
     werden, hat nichts mit der Sache zu tun. Und es würde auch nicht helfen, wenn ich dir eine Predigt halte, denn du bist ein
     intelligenter Mann. Du weißt, es liegt einzig und allein bei dir, welchen Sinn du deinem Leben verleihst, in welchem Maß du
     als Mensch wächst. Du weißt, dass du wählen kannst, dass dir immer mehrere Möglichkeiten offenstehen.«
    »Ja, Ma.«
    »Und eine Möglichkeit wäre, einen Psychologen aufzusuchen, Zatopek.«
    Er betrachtete seine Hände.
    »Und wie ich von Hope erfahren habe, gibt es eine weitere Möglichkeit, die du heute noch in Anspruch nehmen kannst.«
    »Ich werde mich nicht auf diesen dummen Erpressungsversuch einlassen, Ma.«
    »Mach das Richtige, Zet. Das ist alles, worum ich dich bitte.«
    »Das Richtige?«
    »Ja, mein Kind, das Richtige.« Sie sah ihn mit eindringlichem Blick an. Er wich ihr aus.
    Sie stand auf. »Ich werde jetzt ein Bad nehmen. Du hast einiges, worüber du nachdenken musst.«
     
    Du kommst nicht darüber hinweg.
    Er lag ausgestreckt auf seinem Bett, hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt, war sich kurz bewusst, dass er in den letzten
     Jahren vierzig bis fünfzig Prozent seiner Zeit in dieser Position verbracht hatte. Die Worte seiner Mutter im Ohr — |249| sie hatte die Meute wieder losgelassen, sie wusste noch nicht einmal, was dieses »darüber« war. Sie dachte (wie es seine Kollegen
     und Freunde getan hatten, als es sie noch interessiert hatte), dass er sich in übertriebenem Maß selbst die Schuld an Nagels
     Tod zuschrieb. Weil er in diesem lebenswichtigen Augenblick das Ziel verfehlt und der Verdächtige, der Mörder von siebzehn
     Prostituierten, der Rotband-Killer, Nagel einmal, zweimal getroffen hatte. Nagel, der lautlos zusammensackte, während Blut
     und Gewebe an die Wand spritzten, ein Augenblick, der sich für immer seinem Gedächtnis eingeprägt hatte. Und dann traf er
     das Ziel, aus Angst, nicht aus Rache, aus Angst zu sterben, und er traf es, einmal und noch einmal und noch einmal und noch
     einmal, plötzlich war er zum ersten Mal in seinem Leben ein Top-Schütze. Sah den Killer nach hinten taumeln, fallen, feuerte,
     bis seine Z88 leer war, kroch zu Nagel, dem gesichtslosen Nagel, wiegte den zerschmetterten Kopf in Händen. Nagel, der noch
     atmete, der bei jedem Atemstoß Blut über sein weißes Hemd schwappen ließ. Er sah das Leben aus Nagel sickern und schrie zum
     Himmel, stieß einen tiefen animalischen Laut aus, denn in diesem Augenblick wusste er mit absoluter, überwältigender Sicherheit,
     dass nichts mehr so sein würde wie vorher, ein Laut, der aus den Tiefen seines Körpers brach, aus seinem innersten Wesen,
     während er in den Himmel brüllte.
    So fanden ihn die anderen, auf den Knien, Nagels zerschmetterten Kopf in Händen, Nagels Blut auf seiner Kleidung, und die
     Tränen, die ihm über die Wangen liefen, und sie dachten, er weine um Nagel, und sie trösteten ihn und lösten seine Finger
     und führten ihn weg und trösteten ihn |250| aus tiefer Bewunderung für seine Treue, seine Liebe zu einem Kameraden, unterstützten ihn in den kommenden Tagen und Wochen
     und hüllten ihn ein in ihr Verständnis, als er schließlich sagte, er werde nicht mehr zurückkehren: Er sei zu tief verletzt,
     traumatisiert, so was passierte, sie verstanden es; so was passierte, und das war auch gut so, zeigte es doch, dass auch Polizisten
     Gefühle hegten, er sei ein Beispiel dafür.
    Er hatte sie alle getäuscht. Sie und seine Mutter.
    Die Wahrheit, die ganze Wahrheit, lag tiefer, sehr viel tiefer, dieser Augenblick war nur die Spitze eines Eisbergs, der aufgedunsene
     Körper der Täuschung, der unter einem Meer von Lügen verborgen lag.
    Aber er hatte sich »davon« erholt. Hatte sich hindurchgearbeitet. War zwei, fast drei Jahre später auf der anderen Seite aufgetaucht,
     als der Schmerz der Wahrheit weggeschlossen und nur noch das Wissen um sich selbst übriggeblieben war. Das Wissen um sich
     selbst und das, was er daraus ableitete, dass nichts zählte, dass niemand zählte, dass alle Tiere waren, manipulierende, primitive
     Wesen, die unter der dünnen, künstlichen Schicht der Zivilisation um ihr Überleben kämpften.
    »Es« hatte ihn verändert, das war es, was seine Mutter nicht verstand. Und was Hope Beneke nicht

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