Todesakt: Thriller (German Edition)
also noch vorhanden sein?«
Lena schwieg, weil sie dieselbe Frage beschäftigte.
Was sollte noch vorhanden sein?
Sie schaute aus dem Fenster. Die Luft war nicht mehr klar, die Stadt durch den braunen Dunst kaum zu erkennen. Laut dem Wetterbericht, den sie auf der Fahrt in die Stadt gehört hatte, wurde heute mit über vierzig Grad ein weiterer Temperaturrekord gebrochen. Sie fragte sich, wann die Hitze wohl nachlassen und der Fall gelöst sein würde.
Nach zehn weiteren Minuten Fahrt parkte Vaughan ein, während Lena bewundernd das Schild und das Gebäude betrachtete. Das neue kriminaltechnische Labor, das offiziell den Namen Hertzberg-Davis Forensic Science Center trug, stand auf dem Campus der Cal State University und beherbergte die Scientific Investigation Division der Polizei von Los Angeles sowie das Scientific Services Bureau des Sheriffs. Die Einrichtung untersuchte pro Jahr die Beweisstücke in mehr als 140.000 Fällen, und die Menschen, die hier arbeiteten, liebten ihren Beruf. Dass die Proben in einem der wichtigsten Prozesse in der Stadt verloren gegangen waren, machte deshalb allen schwer zu schaffen.
Lena war seit dem Urteil nicht mehr im Labor gewesen. Als sie Vaughan ins Gebäude folgte, spürte sie, dass etwas im Argen lag, noch ehe sie die Sicherheitsschleuse hinter sich und die Aufzüge erreicht hatten. Es war dasselbe eigenartige Gefühl, das sie am gestrigen Vormittag beim Betreten des Parker Center ergriffen hatte. Als sie in Martin Orths Büro kamen und er von seinem Schreibtisch aufblickte, erkannten sie die Besorgnis in seinen Augen. Orth blickte den Karton in ihrer Hand und dann wieder sie an. War es wirklich Besorgnis? Oder war es Angst?
»Was ist los, Marty?«, fragte sie.
Er verzog das Gesicht, schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
»Gucken Sie mal, was sich da drüben tut.«
Lena und Vaughan drehten sich um und betrachteten durch die Glasscheibe die beiden Männer im Konferenzraum. Howard Kendrick, der Leiter des kriminaltechnischen Labors, saß am Tisch und beobachtete den zweiten Mann, der hin und her ging und mit jemandem telefonierte. Lena kannte ihn nicht. Sie schätzte ihn auf Ende fünfzig und war sicher, dass er regelmäßig Sport trieb. Er war groß und kräftig gebaut und hatte borstiges, in einem unnatürlichen Rotbraunton gefärbtes Haar, das wie ein Toupet wirkte. Seine Mimik war starr, und die wettergegerbte Haut spannte sich so fest über die Wangenknochen, dass sie seinen Gesichtsausdruck nicht deuten konnte.
»Wer ist das?«, fragte sie.
Vaughan antwortete an Orths Stelle.
»Jerry Spadell«, raunte er. »War früher mal Ermittler bei der Staatsanwaltschaft. Ein Geist aus Higgins’ Vergangenheit. Ein übler Typ.«
Orth warf noch einen Blick auf Spadell, schloss die Tür und kehrte an seinen Schreibtisch zurück.
»Er mag Higgins’ Mann sein, aber geschickt hat ihn Bennett.«
»Was ist los?«, erkundigte sich Lena wieder. »Was wird hier gespielt?«
»Es geht um den Artikel in der Times . Sie wollen, dass wir noch mal das Labor durchwühlen und schauen, ob wir die verlorenen DNA-Proben finden. Alles nur Show.«
Vaughan lehnte sich ans Fensterbrett.
»Und Kendrick war einverstanden?«
Orth nickte.
»Was auch immer davon zu halten ist. Ich war schon immer sicher, dass wir sie nicht verschlampt haben. Sie sind sicher nur falsch beschriftet worden. Und deshalb ist es zwecklos. Die Proben sind unsichtbar. Man könnte genau davorstehen, ohne sie zu bemerken.«
Lena schob den Asservatenkarton über den Schreibtisch.
»Sie könnten uns einen Gefallen tun.«
Orth las die Aufschrift auf dem Karton. Als sein Blick auf den Namen Lily Hight fiel, veränderte sich der Ausdruck seiner Augen. Während er den Karton öffnete, setzte Lena zu einer Erklärung an, doch er unterbrach sie mit einer Handbewegung.
»Ich weiß schon, was Sie wollen, Lena. Allerdings ist der Zeitpunkt denkbar ungünstig.«
»Es ist ein großer Gefallen«, erwiderte sie. »Und es ist sehr wichtig.«
Orth sah sie nachdenklich an.
»Zuerst möchte ich Sie etwas fragen«, entgegnete er schließlich.
»Nur zu.«
»Gestern haben Sie einen Ihrer Leute Lily Hights Zimmer auf Fingerabdrücke untersuchen lassen. Mich würde der Grund interessieren.«
Lena hielt einen Moment inne und überlegte, ob sie Orth falsch eingeschätzt hatte. Vielleicht war er ja doch nicht ihr Verbündeter, sondern würde nur Barreras Worte von gestern wiederholen: Sie mache allen Angst. Ihre Aufforderung, das
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