Todesbraut
karge Hafenhalle verlassen und waren in das Licht der Abendsonne getreten, kamen zwei fremde Männer aus unterschiedlichen Richtungen auf Wencke zu, jeder umfasste eine Hand, und auch wenn sie sich dagegen wehrte, blieb sie chancenlos. Es war offensichtlich, Wasmuth hatte seine Drohung nicht aus der Luft gegriffen: Diese Leute machten ernst, wenn sie nicht mitspielte. Es kostete sie viel Kraft in diesem Moment, zu viel. Wencke ergab sich, aber nicht ohne den Entschluss, den nächstbesten Augenblick zu nutzen. Sobald sie wusste, was mit Emil geschehen war, wo er sich befand, würde sie Mittel und Wege finden zu türmen.
Wasmuth kam auf sie zu. Die Frau an seiner Seite blickte Wencke feindselig an.
Aus der Nähe waren die Unterschiede zu Shirin zu erkennen: Diese Frau hier war magerer, muskulöser und jünger. Meryem Mêrdîn, die verschwundene Schwester, die sich nach einer unglücklichen Liebe für den Kampf im Untergrund entschieden hatte, natürlich, sie war es, der Wasmuths Sehnsucht all die Jahre galt. Wencke hatte die Zeichen falsch gedeutet, er war nicht Shirin, sondern der jüngeren Schwester verfallen. Diese Frau war der Grund, weswegen er den Kontakt zu Shirin pflegte, weswegen er sie sogar geheiratet und ihr Kind großgezogen hätte.
»Hier trennen sich unsere Wege, Frau Tydmers«, verabschiedete Wasmuth sich, und sein albernes Winken war reinster Sarkasmus. »Sie kommen nun auch ohne mich zurecht.«
»Was ist mit Emil! Sie müssen es mir sagen!«, schrie Wencke ihm hinterher.
»Ich habe keine Ahnung, wo er steckt. Und es ist mir auf gut Deutsch auch scheißegal«, sagte er, blieb aber stehen. »Ich habe andere Ziele!«
»Und die wären?«
Er drehte sich abrupt um. »Sie sind doch die Analytikerin. Zu dumm nur, dass Sie bislang mit Ihren Einschätzungen soweit danebengelegen haben.« Sein Grinsen war mehr als selbstgefällig. »Wissen Sie: auch Schlappschwänze haben gelegentlich Potential. Erstaunlich, dass Sie bis jetzt nicht gemerkt haben, wie unser Spiel funktioniert. Ich hatte Sie für klüger gehalten.«
Damit hatte er wohl recht, das wusste Wencke in diesem Augenblick. Doch sie gönnte ihm diesen Abgang nicht. »Ihr edler Verein, Ihr Engagement für die Spendengelder – alles nur, damit Sie dadurch Kontakt zu Ihrer Geliebten halten konnten? Sie unterstützen
kesîbtîya mewcûdbûna Kurdistanê, kmK
, damit Sie sich der Frau Ihrer Träume nah fühlten?«
»Und wenn’s so wäre?«
»Wenn diese Truppe mit Hilfe Ihrer Gelder nicht Angst und Schrecken unter den Menschen verbreiten würde, könnte man es fast romantisch nennen.«
»Meryem kämpft für die Freiheit. Das ist eine gute Sache.« Dann wandte Wasmuth sich gänzlich von Wencke ab, machte klar, dass sein Teil der Geschichte hier am Hafen des asiatischen Istanbuls zu Ende war. Er fühlte sich nicht mehr für sie zuständig. Zuständig waren nun die Kerle, die Wencke hinter sich herzogen, als wäre sie ein Stück Vieh, auf das die Schlachtbank bereits wartete. Unsanft stießen sie ihre Geisel in einen wartenden Jeep, nahmen links und rechts von ihr Platz und gaben Gas.
»Bringen Sie mich zu Emil?«, versuchte es Wencke vergeblich. Wie kam sie darauf, dass diese Typen Deutsch verstehen könnten? »Where is my son? I want to see him right now!«
Der Geländewagen kroch wie eine Echse durch den dichten Verkehr. Es ging leicht bergauf, und wenn man zurückblickte, konnte man das andere Ufer erkennen, die Sonne ging hinter den Minaretten unter wie auf einem Werbeplakat.
Auf der Schnellstraße kamen sie besser voran. Und immer wenn Wencke dachte, hinter der nächsten Kurve müsse dieStadt doch auch mal aufhören, tauchten neue Hochhäuser, Barackensiedlungen oder grüne Villenviertel links und rechts der Fahrbahn auf. Istanbul schien tatsächlich unendlich. Oder sie befand sich in einem dieser Träume, in denen immer alles von vorn begann, wenn man glaubte, es sei vorbei. Als Wencke schon befürchtete, sie seien die ganze Zeit im Kreis gefahren, nahm der Jeep eine Ausfahrt, drückte sich für fünf Minuten in einen abgasgelben Stau, bog erneut ab und stoppte schließlich vor einem Kuppelbau am Ende einer Sackgasse. Das halb verfallene Gebäude war nicht groß, der graue Putz blätterte an allen möglichen Stellen ab. Kein Mensch war zu sehen.
»Eine Moschee?«, fragte Wencke. Keine Reaktion. Das Eingangsportal war mit wildem Wein überwuchert, doch schaute man genau hin, erkannte man verwitterte Buchstaben über dem Bogen:
Hamam
.
»Was
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