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Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sein Schimpfen noch immer hören.
    Wencke ließ sich auf den Marmorblock in der Mitte des Raumes sinken. Ihre Hüfte hatte einen heftigen Schlag abbekommen, sie traute sich kaum, den Bund der Jeans herunterzuschieben und nachzuschauen, beließ es bei einem verstohlenen Blick auf die sich violett verfärbende Haut. Jetzt bloß kein Selbstmitleid!
    Das letzte Licht des Tages schimmerte durch die bunten Fenster des Gewölbes, gleich würde es stockdunkel sein. Zwar gab es ein halbes Dutzend nackter Neonröhren, die als schmuckloser Kranz auf halbe Höhe gehängt waren, aber das schwarze Kabel baumelte an einem Ende nach unten, während das andere in einen Verteilerkasten führte, der verdächtig lose in der Wand hing. Da würde niemand mehr etwas zum Leuchten bringen, dieser
Hamam
war offensichtlich schon vor langer Zeit sich selbst überlassen worden.
    Doch nicht alles war Opfer des Verfalls geworden, der Heizkessel schien durchaus noch funktionstüchtig zu sein. Die Hitze verhielt sich irgendwie subtil, war nicht zu vergleichen mit der Glut eines Ofens, dem Feuer eines Kamins oder auch der Wärme einer Finnischen Sauna. Die hohen Temperaturen ließen sich nicht orten, sondern waren überall, füllten den Raum aus bis in den Zenit seiner Kuppel, die an die zehn Meter hoch zu sein schien. Wie Wellen schoben sich gefühlte fünfzig Grad unter den Stoff ihrer Jeans und die gelbe, zerrissene Baumwolle des Shirts. Schweiß verklebte die Haut, als würde sie von etwas umarmt, von etwas Ausuferndem, Allgegenwärtigem umfangen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Kreislauf nicht mehr mitmachen würde. Den Schwindel hatte sie eine ganze Weile ignoriert – das wurde nach und nach immer schwieriger. Tödlich war die Hitze nicht, aber zunehmend unerträglich. Sie lähmte Wencke, ließ sie schmelzen, apathisch werden, müde, wehrlos   …
    Sie legte sich auf den Stein und versuchte, all die wirren Gedanken zu ordnen. Dies war so etwas wie ein geheimes Lager der
kesîbtîya mewcûdbûna Kurdistanê, kmK
. Soviel konnte sie sich zusammenreimen. Und Peer Wasmuth, der Mann, dem sie ein Stück weit vertraut hatte – ein Stück zu weit, wie sie jetzt wusste   –, fühlte sich diesen Untergrundkämpfern verbunden. Eine ungesunde Mischung aus Gutmenschentum und romantischerVerblendung musste ihn in ein solches Abseits geschossen haben, denn für einen politisch Radikalen hielt sie Wasmuth beim besten Willen nicht.
    Die Bankverbindung auf dem Flyer   …, ja, es leuchtete ein, dass er seiner unerreichbaren Geliebten auf Umwegen Geld hatte zukommen lassen, über ein Konto, das auch für die Schwester Shirin zugänglich gewesen war. Doch die fing im Juni an, sich größere Summen abzuheben, Klamotten zu kaufen, eine Reise für sich und die Kinder zu buchen. Was war der Grund gewesen?
    Draußen vor der Tür waren Schritte und Stimmen zu hören, aufgeregtes Gerede. Es mussten eine Menge Kämpfer zusammengekommen sein. Sie hatte in den LK A-Informationen gelesen, dass
kmK
eher aus kleinen Gruppen und Einzelkämpfern bestand. Sie versammelten sich einzig und allein zu den Anschlägen. Wenn man die Menge des Sprengstoffs betrachtete, dann würde es sich vermutlich um einen Anschlag gewaltigen Ausmaßes handeln.
    Bayram
– das Zuckerfest in Istanbul, alle trafen sich, feierten das Ende des Ramadan, aßen gemeinsam, beschenkten sich. Gaben sich das Jawort   …
    Auf einmal sah Wencke klar, glasklar: Der Anschlag sollte morgen vor der Blauen Moschee verübt werden. Oder darin! Die PKK lehnte die Ehe ab, bestrafte Liebesbeziehungen in den eigenen Reihen mitunter mit dem Tod. Zudem kämpften sie für die Selbstbestimmung der Frau, und wann wurde diese gravierender beschnitten als bei einer Massenhochzeit, wo man sich die Namen der Bräute noch nicht einmal notierte und sich unter den meisten weißen Schleiern minderjährige Mädchen verbargen, die ihren Ehemann an diesem Tag zum ersten Mal sahen?
    Wencke suchte nach dem Brief an Roza, zum Glück hatte sie ihn vorhin in die Hosentasche geschoben, nachdem er ihrwütend vor die Füße geschleudert worden war. Wann war er geschrieben worden? Das Datum war kaum lesbar, ihre schwitzende Haut hatte das Papier durchfeuchtet, doch wenn sie sich nicht täuschte, war er Anfang Juni geschrieben worden. Anfang Juni, kurz bevor Shirin angefangen hatte, das Konto zu plündern   …
    Roza sollte eine der vielen namenlosen Bräute sein. Shirin war damit bestimmt nicht einverstanden gewesen, hatte mit

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