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Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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kleinen Jungen vor seiner Schule zu entführen und nach Istanbul zu verschleppen.
    »Was hält Roza wohl davon?«
    »Roza?« Wasmuth seufzte. »Ich habe keine Ahnung. Sie ist schwierig, müssen Sie wissen   …«
    »Leider habe ich sie nie gesehen, Moah Talabani hat seine Tochter gut vor mir versteckt. Ich kenne nur die Aufnahmen, die direkt nach dem Unfall von ihr gemacht wurden. Wie   … na ja, wie schlimm sieht sie aus?«
    »Der Kiefer war damals mehrfach gebrochen, ihr fehlt die Hälfte des Kaugelenks, der Nasenknorpel musste ebenfalls entfernt werden. Trotz vollem Einsatz der plastischen Chirurgie war da nicht viel zu richten   …«
    »Soweit ich weiß, hat sie sich seitdem verschleiert?«
    »Ja, obwohl Shirin wirklich versucht hat, sie zu einer selbstbewussten Frau zu erziehen, die sich nicht der Unterdrückung der Traditionen unterwirft. Aber das Mädchen hat das anders gesehen. Wer weiß, vielleicht freut sie sich sogar auf den morgigen Tag.«
    Aus Wasmuths Tasche meldete sich ein Handy. Er zuckte zusammen, als hätte er noch nie im Leben ein Telefon klingeln hören. Wencke entging nicht, dass seine Hände zitterten, als erden Apparat aus der Tasche zog. Er blickte auf das Display, atmete scharf ein, dann nahm er das Gespräch an, in einer anderen Sprache, Wencke vermochte nicht zu sagen, ob es Türkisch oder Kurdisch war. Es passierte etwas mit ihm. Als würde er auf einmal farbiger werden, wacher, sichtbarer. Wer war in der Lage, dieses Wesen derart zum Leben zu erwecken?
    »Wir werden am Hafen abgeholt«, sagte er, nachdem er das Handy in seinen Rucksack geschoben hatte und offensichtlich bemüht war, die Fassung zurückzugewinnen.
    »Abgeholt? Von wem? Es weiß doch kein Mensch, dass wir hier sind!«
    Er zog eine Augenbraue hoch und blieb ihr eine Erklärung schuldig.
    Wencke hatte das Gefühl, als legte sich ihr ein Korsett um den Körper, presste die Lungen zusammen, quetsche sie klein. Wasmuth hatte mit irgendjemandem Kontakt aufgenommen hier in Istanbul, und sie hatte keine Ahnung, mit wem. Wer war er eigentlich? Konnte sie ihm überhaupt vertrauen? War er gerade dabei, sie womöglich in eine Falle zu locken? Der freundliche Helfer, der sie in Wirklichkeit nach seiner Pfeife tanzen ließ und die Fremdheit dieser Stadt nutzte, um Wencke dorthin zu bringen, wo er sie haben wollte – konnte das wirklich sein? Oder gingen gerade wieder die Pferde mit ihr durch?
    Wencke versuchte, nach außen gelassen zu bleiben. »Schön, dann haben wir hier ja wieder ein Telefonnetz. Könnte ich jetzt bitte Ihr Handy kurz ausleihen?«
    Wasmuth legte den Kopf schief und lächelte mit schmalen Lippen. »Später.«
    »Bitte? Ich   …«
    Er ignorierte sie und winkte einen Mann heran, der auf einem Tablett Gläser mit einem hellbraunen Getränk durch die Menge balancierte. »Mögen Sie einen Tee?«
    »Nein, danke«, sagte Wencke. In ihrem Kopf rotierte es.Was sollte sie nur machen? Abhauen? Ihm irgendwie entwischen, so schnell wie möglich? Die Chancen standen schlecht, er hatte durch seine Sprach- und Ortskenntnisse einen Vorsprung, den man kaum einholen konnte.
    Oder steigerte sie sich da gerade in etwas hinein? War sie inzwischen von Angst und Sorge um Emil derart zerfressen, dass sie begann, Gespenster zu sehen? Sie betrachtete Wasmuth, der den Tee entgegennahm, freundlich lächelnd bezahlte und ein kurzes Gespräch mit dem Kellner begann. Er sah wirklich nicht aus, als würde von ihm eine Gefahr ausgehen. War es deswegen vielleicht besonders riskant, ihm zu trauen?
    Wencke nutzte den Augenblick und zog seine Tasche, die er zwischen den Beinen abgestellt hatte, unauffällig in ihre Richtung. Der Rucksack war nicht verschlossen, sie konnte unter einem Stapel Prospekte das Handy erkennen. Langsam schob sie ihren Arm in die Öffnung. Sie war sich der vielen Augen bewusst, die sich in diesem Moment auf sie heften könnten, ihr Herz klopfte bereits bis zu den Schläfen.
    Erst bekam sie eine der Broschüren in die Hand, diesen CIF N-Flyer mit dem vermurksten Konterfei auf dem Titelblatt, die Wasmuth so gern verteilte. Dann zog sie das Handy hervor. Zum Telefonieren war jetzt keine Gelegenheit, die würde sich später vielleicht ergeben, bis dahin verstaute sie das Ding in ihrer Gesäßtasche.
    »Was machen Sie da?« Wasmuths Stimme klang beinahe schneidend. Er griff nach seinem Rucksack und zog ihn zurück.
    Wencke wedelte mit dem Flyer. »Haben Sie den selber gestaltet? Sieht ziemlich professionell aus.« Sie klappte

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