Todesbraut
Folgen Sie mir.« Die Sekretärin führte Wencke und Axel zu einem Zimmer im hinteren Teil des Hauses, klopfte resolut an, sagte »Bitte schön« und verschwand.
Zehn Augenpaare hefteten sich auf Wencke und Axel, als sie atemlos einen guten Morgen wünschten. Die meisten der Schülerinnen schienen schon weit über dreißig zu sein, nur ein Drittel trug Kopftuch, komisch, dass Wencke diese Tatsache fast automatisch einscannte.
An der Wand neben dem obligatorischen Porträt von Atatürk hingen zwei CIF N-Flyer , auf deren Titelbild Peer Wasmuth schmallippig in die Gegend lächelte. Es war schon eine Unverschämtheit, wie schlecht manche P R-Berater ihren Job machten. Die hellgrüne Schrift erinnerte an Apfelshampoo aus den späten Siebzigern, das beige Cordjackett an die dazu passende Badezimmerkeramik. Wenn Wasmuth auf diese Weise die Großzügigkeit der Wunstorfer beeinflussen wollte, konnte er höchstens mit den Spenden von Blinden rechnen – aber auch nur dann, wenn die sich von seinen langweiligen Slogans beeindrucken ließen.
Der CIF N-Vereinsvorsitzende stand auf, kam auf sie zu und machte irgendwie den Eindruck, als fühlte er sich nicht wohl in seiner käsigen Haut. »Frau Tydmers! Und Herr …?«
»Sanders. Ein Kollege von der Polizei. Herr Wasmuth, könnten wir Sie einen Moment sprechen?«
Er zögerte kurz, dann wandte er sich an seine Schülerinnen: »Bitte arbeiten Sie schon mal gemeinsam die Fragen durch, die sich aus dem Text ergeben!« Er schnappte sich sein Jackett, es war dasselbe wie auf dem Plakat, und führte Wencke und Axel durch eine Terrassentür in den schmalen Garten, der hinter dem Schulgebäude lag. Der Rasen war fransig und grau, eine Gartenbank rostete traurig vor sich hin, und die mannshohe Mauer ringsherum machte die allerletzte Idee von Natur zunichte.Wenige Meter weiter hörte man einen Zug über die Gleise rattern. Sie setzten sich auf eine Sitzgruppe aus Plastikmöbeln, Wasmuth faltete die Hände, als wäre dies ein seelsorgerisches Gespräch.
»Was kann ich für Sie tun? Gibt es etwas Neues?«
Wencke hatte sich vorgenommen, nicht zu früh aus der Deckung zu kommen. Erst einmal wollte sie ihrer gestrigen Intuition nachgehen. Wie war das Verhältnis zwischen dem engagierten Deutschlehrer und der Kurdin wirklich gewesen? Zwar konnte Wencke sich nicht vorstellen, dass Shirin Talabani auf Männer wie Wasmuth flog, aber irgendjemand musste schließlich der Vater ihres ungeborenen Kindes sein, und irgendwo musste sie mit der Suche anfangen. »Ganz ehrlich, Herr Wasmuth, was war da zwischen Ihnen und Frau Talabani?«
Sein Teint konnte sich zwischen leichenblass und schamrot nicht entscheiden und so konkurrierten beide Farben als hektische Flecken im Gesicht. »Sie … Ich … Wir …« Atemlosigkeit.
»Gab es denn ein
Wir
?«
Zweimal schnappte er nach Luft. Alles sah nach einer Punktlandung aus, und Wencke konnte ihr Glück kaum fassen, dass ihr Bauch mal wieder bestens navigiert hatte. Schließlich stöhnte er auf: »Nein, gab es nicht.«
Wäre ja auch zu einfach gewesen, seufzte Wencke innerlich. Axel hielt sich zurück, wahrscheinlich ratterte er in Gedanken gerade die Dienstvorschriften durch, gegen die er in diesem Augenblick verstieß.
»Sie sprechen auf die Schwangerschaft an, stimmt’s?«, führte Wasmuth das Gespräch fort.
»Wenn Sie es wussten, warum haben Sie mir gestern nichts davon erzählt?«
»Shirin hat es mir vor zwei Wochen gesagt, im Vertrauen. Eswäre mir wie ein Verrat erschienen, dieses Geheimnis auszuplaudern. Auch wenn Shirin tot ist und mir deswegen nicht mehr böse sein kann …« Er fasste nach dem Zweig einer spindeldürren Tanne und zupfte die weichen Nadeln ab. »Das Kind ist nicht von mir, falls Sie das denken.«
Hab ich nicht wirklich, hätte Wencke geantwortet, wäre sie weniger sensibel gewesen. Stattdessen schwieg sie. Natürlich könnte sie nun auch voranpreschen, ihn löchern, ob er wüsste, mit wem Shirin Talabani vor gut vier Monaten liiert gewesen war. Wasmuth hatte diese Frau sicher gründlich genug beobachtet, um zumindest einen Verdacht zu hegen. Aber er würde von allein darauf zu sprechen kommen, Wasmuth schien schon jetzt zu zerbersten von ungesagten Sätzen.
»Ich hätte es wie mein eigenes behandelt«, brachte er schließlich hervor.
»Wäre der leibliche Vater denn nicht dagegen gewesen?«
Er zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht, wirklich nicht! Vielleicht hat er gar keine Ahnung von der
Weitere Kostenlose Bücher