Todesbraut
Schwangerschaft. Shirin hat mir nicht viel über ihn erzählt, da kann ich nicht weiterhelfen, ich weiß nur, dass er zu keiner offiziellen Beziehung bereit war. Wahrscheinlich ist der Kerl verheiratet …«
Und du bist es nicht, dachte Wencke, und das macht dich fertig. Dass ein anderer alles hat, mehr als genug, und du bleibst außen vor. Noch nicht mal als Ersatzpapa bist du gewollt. Warst du wütend auf Shirin? Hast du mehr von ihr erwartet?
Sie hatte keine Probleme, sich Wasmuth als Freund des Hauses vorzustellen, eine Tasse Kaffee in der Hand und den Kopf schief gelegt, wenn er ein offenes Ohr für alle Probleme demonstrieren wollte. Aber wie sah er aus, wenn es ihm zu viel wurde? Griffen dann diese schmalen Hände ins Arzneischränkchen, zu bunten Tüchern, nach dem Hals einer wehrlosen Frau?
»Glauben Sie, dass Shirins Familie bereits von der Sache wusste?«
Er atmete, als habe er einen Marathon hinter sich, und genauso schwitzte er auch. Es war, als suche sich eine verdrängte Wahrheit den Weg nach draußen, und wenn sie nicht ausgesprochen wurde, kam sie eben durch die vielen großen und kleinen Körperöffnungen gekrochen, als Schweiß, als Tränen, als Spucke und Rotz. »Mein Gott, ich … verdammt!« Nein, das reichte nicht, er suppte weiter vor sich hin, als wollte er zerfließen. Und Wencke machte es ihm nicht leicht, hakte nicht nach, gab kein Stichwort. »Ich habe versucht, Shirin klarzumachen, dass sie die Sache nicht länger geheim halten kann. Es war eine Frage von Wochen, bis man es hätte sehen können. Azad und Roza hätten bald gemerkt, dass mit ihrer Mutter etwas nicht stimmt. Sie war es ihren Kindern schuldig, etwas zu sagen, bevor …« Jetzt heulte er fast. Rieb sich Zeigefinger und Daumen tief in die Augen und schlug die andere Hand auf die Lippen, um deren Zittern zu verbergen »Gefleht habe ich: Sag ihnen einfach, es ist unser Kind. Wir können heiraten. Wir können eine ganz normale Familie sein. Dann wird niemand es mehr wagen, dich für eine ehrlose Person zu halten. Für eine … für eine …«
»Ein Nachbar nannte Frau Talabani eine Hure. Haben Sie das auch von ihr gedacht?«
Er schüttelte den Kopf, dann nickte er, dann machte er beides auf einmal.
»Aber Shirin hat Ihr Angebot nicht angenommen. Sie wollte lieber die Schande ertragen, ein uneheliches Kind zu bekommen, als Sie zum Alibimann zu nehmen.«
Wie ein kleiner Junge schluchzte er und Wencke rückte von ihm ab aus Sorge, er könne sich ihr an den Hals schmeißen, um getröstet zu werden.
Axel warf Wencke einen konsternierten Blick zu. Wahrscheinlich bereute er spätestens jetzt, hierhergekommen zu sein. Gefühlsausbrüche waren ohnehin nicht sein Ding. Mansah ihm an, dass er nach Sätzen suchte, die die Peinlichkeit des Moments erträglicher machten. »Darf ich mal zusammenfassen, Herr Wasmuth: Frau Talabani hat sich nur Ihnen anvertraut und jegliche Unterstützung sowie die Einbeziehung der Familie abgelehnt. Warum, glauben Sie, hat sie so gehandelt?«
Wasmuth schneuzte sich in ein griffbereites Tempo, schluckte zweimal, dann hatte er sich zum Glück wieder etwas gefangen. »Sie wollte, dass ich sie bei den Behördengängen unterstütze. Schließlich hätte ein drittes Kind ihr das Arbeiten unmöglich gemacht. Ich sollte mich erkundigen, welche Sozialleistungen sie für sich beanspruchen kann.«
Kein Wunder, dass er sich so elend fühlte. Die Frau seines Herzens hatte in ihm nicht mehr als einen bürokratischen Handlanger gesehen. »Sobald alles geklärt gewesen wäre, wollte sie es ihren Kindern erzählen. Sie hat darüber nachgedacht, nach Hannover zu ziehen, weil ihr Exmann dort lebt, der auf die Großen aufpassen könnte, und weil es ein größeres Angebot an Tagesmüttern gibt. Shirin hat sich das alles sehr einfach vorgestellt.«
»Haben Sie ihr das gesagt?«
»Ja. Ich wollte nicht, dass sie in ihr Unglück rennt.«
»Über einen Schwangerschaftsabbruch hat sie nicht nachgedacht?«
»Das weiß ich nicht. Wir hatten seit Ende Juni kaum Kontakt. Sie hat sich ziemlich zurückgezogen, warum auch immer. Als sie mir dann vor zwei Wochen alles erzählt hat, war die Zwölf-Wochen-Frist bereits abgelaufen. Aber ich hätte ihr davon abgeraten; auch wenn ich nicht katholisch bin, eine Abtreibung erscheint mir immer die allerschlechteste Lösung bei einem solchen Problem zu sein.«
Wencke fielen Shirins kleine Luxusartikel ein, die so fremd in der engen Wohnung gewirkt hatten. »Haben Sie Shirin
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