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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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keinerlei Garantien übernommen werden. Die Nordsee ist unberechenbar, und selbst wenn es einigen gelingen sollte, sich … zum Beispiel nach Borkum durchzuschlagen, möchte ich nicht dabei sein, wenn sie dort der aufgebrachten Meute in die Hände fallen. Bitte bleiben Sie an Bord, bitte bewahren Sie Ruhe. Wir versuchen, die Maschinen in Gang zu setzen und nach Schiermonnikoog zu fahren, wie wir es gemeinsam beschlossen haben.«

 
    72 Je näher sie der Insel kamen, umso ruhiger wurde das Meer. Das Boot war voll Wasser gelaufen, es drohte zu sinken.
    An der Promenade waren die Lichter bereits an. Die Touristen saßen bei »Leo’s« und »Kartoffelkäfer« und sahen dem Sonnenuntergang zu.
    Benjamin Koch betrachtete es mit gemischten Gefühlen. Er ließ sich von dem einladenden Licht und den Gerüchen, die herüberwehten, nicht täuschen. Sie waren nicht willkommen. Er durfte das Boot nicht dort landen, wo die Strandkörbe standen. Er konnte nicht über den Sandstrand stürmen, hin zu »Kartoffelkäfer« und als Erstes eine Riesenportion Spaghetti mit Crevetten bestellen und ein Weizenbier.
    Es sah ganz nah aus, vielleicht fünf-, sechshundert Meter. Er hatte das Gefühl, er könnte die Strecke sogar schwimmend bewältigen. Aber er musste an die Kinder denken und das Boot an eine sichere Stelle steuern.
    Kai Rose saß völlig apathisch im Heck. Er war ganz mit seinem Sohn verwachsen. Er hielt den Kopf von Dennis über Wasser und auch Margit Rose hatte etwas Känguruhaftes an sich, so wie sie ihre Tochter umklammerte.
    Benjo konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Viola bereits tot war. Aber entweder weigerte Margit sich, das zur Kenntnis zu nehmen, oder sie war inzwischen so weit abgedreht, dass sie es nicht wahrnahm. Sie hielt ihr Kind wie eine leblose Puppe, deren Arme und Beine herunterbaumelten.
    Links neben sich sah Benjo die Seehunde. Wie eine Landzunge erstreckte sich die Sandbank weit in die Nordsee. Sie war mit einem Stacheldrahtzaun vom Rest der Insel getrennt, damit die Seehunde von den Touristen nicht vertrieben wurden. Am Rand der Absperrung standen oft fotografierende Familien, für ein Erinnerungsfoto. Chris hatte ihm schwärmerisch die Seehunde beschrieben. Sie hatte von mehreren Herden gesprochen, mit jeweils mindestens hundert, wenn nicht hundertfünfzig Tieren.
    So viele waren es aus seiner Sicht nicht. Aber dreißig, vierzig Seehunde lagen dort faul im Sand und aalten sich unbehelligt in den letzten Strahlen der Abendsonne.
    Der Anblick trieb Benjo die Tränen in die Augen. Diese Beschaulichkeit, dieser Frieden, dieser Rest heile Welt machten ihm erst schmerzlich klar, was er in den letzten Stunden erlebt hatte.
    Milchkaffee, Strandkörbe, Bikinis, Miniröcke, Sonnencreme auf der Haut und eine Tüte Eiscreme in der Hand. Auf das Abendessen warten. Ein Blick auf die Seehunde, das Meer, Fahrradfahren, Knutschen. In Ruhe einen gruseligen Kriminalroman lesen und sich immer wieder bis zur Erschöpfung lieben. So hatte er sich diese Tage mit Chris vorgestellt.
    Unwillkürlich griff er nach seinem Handy, dem einzigen Kontakt zu Chris und der Außenwelt. Doch erschrocken musste er feststellen, dass das Gerät die Fluten nicht überlebt hatte. Es war nass, glitschig und völlig tot.
    Er probierte es erst gar nicht mehr aus. Er sah auf den ersten Blick, dass da nichts mehr zu machen war. Letztes Jahr hatte er sein Nokia aus Versehen mit in die Waschmaschine gestopft. Seitdem besaß er dieses hier. Jetzt war schon wieder ein neues fällig, doch es war kaum denkbar, dass er so bald an eines kommen könnte.
    Benjo ruderte weiter und konzentrierte sich ganz auf Chris. Es musste doch noch mehr geben als Handys, E-Mails oder Briefe. War es nicht manchmal so, dass er sie abends spüren konnte, als ob sie neben ihm läge? Wie oft hatte er mit ihr gesprochen, obwohl sie gar nicht bei ihm war. Manchmal, so wusste er, hatte sie das Gefühl, dass eine unsichtbare Standleitung zwischen ihnen existierte, die sie verband wie die Adern im Körper die einzelnen Organe.
    Wenn ich mich ganz stark auf sie konzentriere, wird sie es spüren, dachte er. Sie muss es einfach spüren. Die Liebe überwindet alles. Ein Handy kann kaputtgehen, eine Internetverbindung kann gestört werden, die Kommunikation zusammenbrechen. Aber es gibt noch mehr: die Magie von Gedanken und Gefühlen.
    Noch vor wenigen Stunden hätte er kitschig gefunden, was ihm hier durch den Kopf ging, doch jetzt klammerte er sich daran wie an einen

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