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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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es ebenso.
    Als die breite Axt das Wellblech kreischen ließ und sich das Dach scheppernd hob, verstummten plötzlich alle Hühner und reckten schreckensstarr die Hälse, als hätten sie Angst, bei der geringsten Bewegung könnten ihnen die Köpfe abgeschlagen werden. Dann – Akki hätte nicht sagen können, was den Ausschlag dafür gab – legten alle Hühner gleichzeitig wieder mit ihrem scharrenden Getöse los.
    Die knisternden Flammen und der Geruch von angesengten Federn machten Akki mindestens so viel Angst wie dieser apokalyptische Hühnerlärm. Die Flammen fraßen sich schnell näher und trieben dabei eine Hitzewelle vor sich her, die allen den Schweiß aus den Poren schießen ließ.
    Mit Sorge sah Tim, dass der Fluchtweg übers Dach möglicherweise für alle die Rettung bedeuten konnte, aber nicht für ihn. Wie sollte er aus dem Rollstuhl hoch über die Volieren gelangen, um von dort übers Dach nach draußen zu kommen?
    Die Kraft der Verzweiflung führte die Axt in Ubbo Jansens Hand. Sein linker Arm war fast taub, aber obwohl er ihn nicht spürte, funktionierte die Muskulatur besser als jemals zuvor. Seine gewaltigen Hiebe ließen einen Querbalken, der ihnen den Weg versperrte, splittern.
    Josy machte etwas anderes Sorgen. Jedes Mal, wenn sich durch die Dachabdeckung kurz der Himmel zeigte, sah sie, wie sich eine zwanzig Meter lange Flammenzunge an der Decke entlang zischend in Richtung Öffnung schlängelte. Das Loch im Dach wurde zum Kamin, durch den Qualm und Flammen nach draußen gesaugt wurden. Dadurch breitete sich das Feuer im Hühnerstall umso rasanter aus.
    Akki drückte mit aller Kraft die gespaltenen Platten hoch und das Feuer griff sogar nach der Axt, die er in der Hand hielt, und nach seinen Armen.
    Ubbo Jansen kletterte als Erster ins Freie. Von oben riss er ein größeres Loch und kreischte: »Schnell, schnell, macht schnell!«
    »Warte«, schrie Josy hinauf, »wir müssen Tim mitnehmen!«
    Sie hob Tim aus seinem Rollstuhl und forderte ihn auf, sich an ihrem Rücken festzuhalten. Er tat es. Sein Vater streckte Josy von oben die Hand entgegen, doch es fehlten noch mindestens anderthalb Meter.
    Mit Tim auf dem Rücken kletterte Josy an den Volieren hoch, die Finger um die Gitterstäbe gekrallt. Verwirrte Hühner pickten in ihre Finger, als seien es schmackhafte Würmer, die frech aus dem Rasen hochguckten.
    Josy versuchte, den höllischen Schmerz in der Wirbelsäule zu ignorieren, indem sie stöhnend ausatmete. Sie kam sich vor wie beim Freeclimbing, nur dass dies hier keine Freizeitbeschäftigung war, sondern ein Kampf auf Leben und Tod. Der Rauch nahm ihr die Luft, die Flammen züngelten an ihr hoch, versengten ihr Haar und Tim hing bleischwer an ihr.
    »Ich schaff’s nicht, Akki!«, schrie sie. »Ich schaff’s nicht!«
    Akki bückte sich und wollte sie halten, doch da riss mit einem Ratsch die Gitterwand der Voliere ab und Josy stürzte mit Tim nach unten. Die Hühner flatterten über ihre Körper hinweg und Körner regneten auf ihre Gesichter.
    Das Feuer kam von beiden Seiten näher; über ihnen schlugen die Flammen bereits zusammen. Tim begann zu begreifen, dass Josy nur ohne ihn eine Chance hatte. Er fragte sich, wann sie dies erkennen und ihn alleinlassen würde.
    Er sagte nicht: Hau ab, rette dich, lass mich im Stich. Nein, so heroisch war er nicht. Aber er rechnete jeden Augenblick damit, dass genau das passieren würde. Er blickte vom Boden hoch durch das kleine Loch in der Decke, wo er vorhin noch seinen Vater gesehen hatte, aber der war jetzt verschwunden.
    Immer mehr Hühner sammelten sich auf dem engen Raum, den die Flammen noch nicht erfasst hatten. Tim schlug um sich, um nicht in der Hühnerflut zu ertrinken. Er hustete, kreischte und versuchte, sich wenigstens das Gesicht frei zu halten. In seinen Haaren krallten sich Hühner fest.
    Josy sah aus wie ein aus vielen Hühnern bestehendes, großes flatterndes Monster. Selbst der umgekippte Rollstuhl war als solcher nicht mehr zu erkennen. Die Hühner hackten sich gegenseitig in die Köpfe und Flügel. Sie kämpften um die lebensrettenden Plätze. Jedes Huhn versuchte, so weit wie möglich von den Flammen wegzukommen, hinein in die Mitte der anderen Leiber, um von ihnen geschützt zu werden. Einige wenige fanden sogar den Ausweg durchs zerschlagene Dach nach draußen.
    Tim konnte nichts mehr sehen. Nicht die Flammen werden mich töten, sondern diese verzweifelten Tiere, dachte er. Was Hitchcock sich in seinem Film »Die Vögel«

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