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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Obst und ein paar Säfte. Und ich sag dir, genau das werde ich ihr bringen. Und die Kekse, die sie haben will, ebenfalls! Daran wird mich niemand hindern, du auch nicht!«
    Bettina schob sich an den beiden vorbei zum Ausgang. Sie hatte alles im Korb, was sie brauchte, und rannte zurück zu Jüthe und Leon.
    Bald aber verlangsamte sie ihre Schritte, denn das Schwindelgefühl kehrte zurück.
    Für einen Moment schloss sie die Augen und lehnte sich gegen eine Hauswand. Ihr Atem rasselte.
    Du darfst dich nicht übernehmen, dachte sie. Sei vorsichtig. Mach jetzt keinen Fehler. Es geht gerade ein bisschen bergauf mit dir, aber die letzten Stunden haben unendlich viel Kraft gekostet.
    Glühend heiß fiel ihr plötzlich Leons Mutter ein. Sie beschloss, Marie Sievers anzurufen und ihr damit die frohe Botschaft zu überbringen, dass ihr Sohn die Nacht überlebt hatte.

 
    117 Carlo Rosin hatte wie die meisten Menschen in diesen Tagen nur ein Ziel: Er wollte weg aus Emden. Raus aus der Umklammerung.
    Erst wegen des Gefühls, eingesperrt zu sein und den eigentlich schönen Küstenort nicht verlassen zu können, begann er, ihn unerträglich hässlich zu finden. Aber was viel schlimmer war, er spürte die erdrückende Enge der Familie noch mehr als sonst. Er und Elfi würden sich trennen. Sie wusste es. Er wusste es und jeder, der nicht ganz aus Holz war, kriegte die Kälte mit, die die beiden trennte wie eine dicke Eiswand.
    Endlich konnte er sich eingestehen, dass er seine Schwäger nicht einfach nur doof fand. Er hasste sie vielleicht nicht, aber er konnte mit ihnen nichts anfangen, hatte mit ihnen nichts zu reden, wollte nicht länger ihr Konkurrent sein, sondern sie einfach nie wieder sehen. Keine Familienfeiern mehr. Kein runder Geburtstag. Keine Hochzeit. Keine Taufe. Kein Weihnachtsfest.
    Der Gedanke tat gut. Er atmete tief ein. Die Nacht nach der Feier, in dem Gasthof, hatte ihm den Rest gegeben.
    Da niemand aus Emden wegkam, waren Schlafplätze knapp geworden. Freie Hotelzimmer gab es nicht mehr. Seine Schwiegereltern nahmen Tante Mia und Onkel Paul mit zu sich in ihre Wohnung. Für Oma Hedwig fand sich auch noch ein Schlafplatz.
    Trotz der Proteste des nörgeligen Wirtes hatte Carlo gemeinsam mit dem betrunkenen André, mit Steffen und Thiemo und den Schwestern seiner Frau sowie vier Onkeln, drei Tanten und sechs ehemaligen Arbeitskollegen seines Schwiegervaters im Gasthof übernachtet. Er hatte eine schreckliche Zeit auf zwei Stühlen verbracht und jetzt tat sein Rücken weh. Er roch übel aus dem Mund. Für eine Zahnbürste oder ein Mundwasser hätte er gern den letzten Hunderteuroschein aus seinem Portemonnaie gegeben.
    Er trat aus dem Gasthof, bog sich durch und suchte eine Drogerie oder einen Supermarkt. Der Wirt hatte ihnen schon eröffnet, dass es keine Brötchen geben würde, sondern nur die Reste von gestern, und der Kaffee, den er anbot, war nach Carlos Geschmack ungenießbar, sollte aber fünf Euro pro Tasse kosten. Der Wirt faselte, Angebot und Nachfrage würden den Preis regeln, und André hatte darauf gebrüllt, er kenne diese beiden Herren nicht.
    An der Kreuzung hörte Carlo den Sprechchor.
    Eine Gruppe von gut fünfzig aufgebrachten Personen bewegte sich in der Mitte der Straße. Zunächst verstand Carlo nicht, was sie riefen, aber die Menschen kamen näher und die Worte wurden deutlicher.
    »Wir wollen raus! Wir wollen raus!«
    Eine Weile lief er wie magisch angezogen neben den Leuten her. Sie formulierten genau, was er fühlte. Raus! Raus! Aus allem. Der Stadt. Der Ehe. Der Verantwortung.
    Dann sah er hinter sich seinen Schwager Steffen Blockmann, der ebenfalls mit dem Demonstrationszug liebäugelte. Zunächst hätte das Carlo fast dazu gebracht, umzukehren, aber dann reihte er sich ein, erhob sogar die Faust wie einige andere aus der ersten Reihe und brüllte mit ihnen: »Raus! Raus! Wir wollen raus!«
    Der Busfahrer Willi Schulz-Higgins wollte ein Lied anstimmen. Lieder, dachte er, machen Mut. Zwischen den jungen Leuten fühlte er sich wohl. Leider kannte er keine revolutionären Lieder auswendig. Er stimmte aus voller Brust »So ein Tag, so wunderschön wie heute« an. Aber er wurde ausgelacht und verstummte sofort wieder.
    Carlo wollte gerade mit einstimmen, aber dann schwieg er auch lieber. Noch einmal drehte er sich nach seinem Schwager Steffen um. Vielleicht, dachte Carlo, sucht er auch nur eine Möglichkeit, dieses öde Treffen zu verlassen. Keiner von denen hätte freiwillig dort

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