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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Silbermöwen auf den tief in den Hafengrund gerammten Pfählen, von den Ostfriesen gern seemännisch Vertäudalben genannt, sahen sich alles von oben an, wie Geier, die auf reiche Beute hoffen. Eine Möwe flatterte mit den Flügeln. Sie hatte eine Spannweite von gut einem Meter fünfzig. Der Vogel klapperte mit dem scharfen Schnabel und markierte mit »Kiu! Kiu!«-Schreien seinen Anspruch auf das größte Stück Fleisch. In der Luft kreiste ein Dutzend weiterer Raubvögel; die stärksten Silbermöwen aber thronten auf den Dalben.
    Offensichtlich waren die Männer bereit, die Touristen mit Gewalt am Betreten der Insel zu hindern. Einer von ihnen, im Feinrippunterhemd, hielt den Minigolfschläger nervös wie einen Baseballschläger und forderte kampfeslustig: »Kommt nur! Kommt!«
    »Den Typ mit dem kantigen Kinn da, den haben wir doch gestern erst auf der Bismarckstraße verhaftet. Hartmann. Holger Hartmann«, sagte Jens Hagen. »Das ist ein übler Randalierer. Hat in der ›Kajüte‹ Hausverbot und wer weiß wo sonst noch. Dem hätten wir längst einen Platzverweis geben müssen.«
    Oskar Griesleuchter nickte. »Dem ist jeder Anlass für eine Schlägerei recht. Der hat so viel Hass in sich … Wo es Ärger gibt, ist der dabei. Ich denke, wir sollten jetzt doch aussteigen.«
    »Und dann?«

 
    14 Das Video mit Ubbo Jansen hatte in einer Stunde 46000 Anklicker. Alles zum Thema Vogelgrippe war plötzlich sehr gefragt. Während die Ostfriesland III noch vor Borkum dümpelte und Philipp Reines Fieber auf 42 Grad stieg, er halluzinierte und mit seinem toten Vater sprach, näherte sich der Praktikant Ulf Galle vom Gesundheitsamt Ubbo Jansens Hühnerfarm.
    Am Eingangstor gab es zwar genug Platz für zwei Busse, aber auch ein absolutes Halteverbot. Er konnte nicht sagen, was es war, aber etwas an diesem Tor jagte Galle Respekt ein. Er war losgeschickt worden, weil alle anderen Kollegen des Amtes in wichtige Krisenbesprechungen eingebunden waren.
    Er hatte einen Auftrag und er fühlte sich wie ein Rind, das zur Schlachtbank geführt werden sollte. Ihm fehlte so ziemlich alles, um mit der Situation fertigzuwerden. Vor allen Dingen Selbstbewusstsein. Seine Kollegen wussten, dass er überfordert war, deshalb und weil es Abgrenzungsprobleme in der Zuständigkeit gab, wurde er von Carlo Rosin, einem Mitarbeiter des Veterinäramtes Aurich, begleitet.
    Weil plötzlich Dienstfahrzeuge knapp waren, fuhren sie mit Carlo Rosins Privatwagen, einem Fiat Panda, der keine Klimaanlage besaß. Das Auto hatte draußen in der Sonne gestanden und die Temperatur im Fahrzeuginnenraum war auf über vierzig Grad angestiegen.
    Ulf Galle kletterte umständlich aus dem Fiat. Er hatte einen Schweißfleck zwischen den Schulterblättern, der aussah wie der Schatten eines riesigen Schmetterlings. Er war froh, endlich aus dem überhitzten Wagen zu kommen. Der Duft von dem Tannenbäumchen am Rückspiegel widerte ihn an. Das Fenster an seiner Seite war nicht aufgegangen. Am liebsten hätte er sich krankgemeldet. Er reckte sich. Er bekam Rückenschmerzen.
    Carlo Rosin suchte derweil einen legalen Parkplatz. Er war eigentlich nur wegen der goldenen Hochzeit seiner Schwiegereltern zu Besuch in Emden und sah sich plötzlich, als das Telefon klingelte und er mit dieser Aufgabe betraut wurde, in einer besonderen Rolle. Natürlich wollte er sich nicht vor den gewaltigen Herausforderungen drücken, die jetzt auf Menschen wie ihn zukamen. Insgeheim sah er dieses Virus kurzfristig als einen großen Glücksfall für ihn an. Er war auf jeder Feier das unscheinbare Mitglied der Familie gewesen, mit dem langweiligen Beamtenjob in der Verwaltung. Als jüngster Schwiegersohn war es für ihn mit seinen dreiundzwanzig Jahren nicht leicht, anerkannt und ernst genommen zu werden. Gegen die anderen schillernden Figuren hatte er keine Chance. André Müller, ein Jurist, der als Strafverteidiger spannende Fälle zu bearbeiten hatte, Thiemo Wilks, ein Philosophiestudent, der seit Jahren an seinem Doktortitel bastelte und vortrefflich über den Sinn des Lebens diskutieren konnte, und Steffen Blockmann, ein junger Unternehmer, der eine Modellagentur für Modeschauen aufbaute, waren natürlich wichtiger als er.
    In einer Familie mit vier Töchtern ist der Konkurrenzkampf der Schwiegersöhne nicht zu unterschätzen. Bei seinem lächerlichen Gehalt hatte er ohnehin Mühe, von seinen Schwiegereltern anerkannt zu werden. Bisher hatte er versucht, vieles durch Freundlichkeit und gute

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