Todesbrut
und Golfschlägern bewaffnet. Wenn er sich nicht täuschte, ironischerweise mit Minigolfschlägern.
Die Fähre war nur noch wenige Meter vom Landungssteg entfernt. Ein Mann im bunten Hawaiihemd trat vor. Sein Gesicht mit den roten Wangen hatte etwas von einem wurmstichigen Apfel. Der Nordseewind kämmte ihm eine Sturmfrisur. Mit geradezu majestätischer Geste versuchte er der Ostfriesland III Einhalt zu gebieten.
»Haaaaalt!«, rief er. »Haaaalt! Wir können euch nicht auf die Insel lassen. Fahrt nach Emden zurück!«
»Guter Witz. Selten so gelacht. Wer sind Sie überhaupt?«
»Ich habe stopp gesagt.«
»Ob einer im Hawaiihemd stopp sagt oder in China ein Spaten umfällt, das ist …«
Da krachte ein Schuss.
Für einen Moment war es sehr still, als hätte der Knall alle Geräusche geschluckt, selbst die Schreie der Möwen und das Knattern der Fahne im Wind. Dann gesellte sich der Schütze zu dem Mann mit dem Hawaiihemd. Er hatte nur in die Luft gefeuert, das war klar, aber sein Gewehr war mit scharfer Munition geladen und niemand konnte diese Warnung missdeuten.
Dutzende Köpfe fuhren herum in Richtung Polizeiauto, doch es tat sich nichts. Die Beamten blieben im Wagen.
»Scheiße, oh welche Scheiße!«, stöhnte dort jetzt Jens Hagen und hielt sich eine Schrecksekunde lang die Augen zu.
»Mein Name ist Heinz Cremer«, hörten die beiden Beamten, »ich bin Architekt aus Düsseldorf und mache seit zwanzig Jahren mit meiner Familie Urlaub auf Borkum. Wir sind schon vor vierzehn Tagen gekommen. Die Insel ist bisher verschont geblieben, aber wir können nicht ausschließen, dass einer von euch an Bord dieses Scheißvirus in sich trägt. Seid vernünftig. Ihr müsst das doch verstehen. Es ist auch besser für euch; hier könnt ihr nicht versorgt werden, wenn es euch erwischt. Ich habe hier mal in dem Mini-Krankenhaus gelegen. Es gibt ganze sechs Zweibettzimmer. Könnt ihr euch vorstellen, was eine Epidemie für die Insel bedeutet? In Emden dagegen gibt es Quarantänemaßnahmen. Da werden gerade die besten Ärzte und Seuchenspezialisten eingeflogen …«
Der Kapitän der Ostfriesland III unterbrach Heinz Cremer scharf: »Das ist eine ungesetzliche Handlung. Sie haben keinerlei Recht, uns an der Landung zu hindern. Wir sind doch hier nicht im Wilden Westen!«
Heinz Cremer war ein gebildeter Mann, er verstand es zu argumentieren und glaubte an seine Überzeugungskraft: »Lassen Sie uns nicht die Fehler von 1918 wiederholen«, holte er weit aus. »Die Spanische Grippe, die damals am Ende des Krieges wütete, hätte eingedämmt werden können. Ein paar amerikanische Militärärzte haben seinerzeit verlangt, sämtliche Schiffsbewegungen zu kontrollieren und die Besatzungen und Passagiere in Quarantäne zu nehmen. Aber sie konnten sich nicht durchsetzen, weil es natürlich viel wichtiger war, die kämpfenden Truppen in Europa zu verstärken. So breitete sich die Grippe dank des U.S. Public Health Service in Windeseile auf der ganzen Welt aus. Fünfzig, vielleicht siebzig Millionen Menschen starben. Wir finden, das muss sich nicht wiederholen, wir sind doch denkende Wesen, wir können aus den Fehlern der Vergangenheit lernen!«
Den Kapitän, Ole Ost, beschlich das Gefühl, er könnte dem Düsseldorfer Architekten vielleicht unterlegen sein. Er wusste nicht, ob der gerade wilde Theorien aufstellte, einfach kaltblütig log oder schlicht die Wahrheit sagte. Er wusste aber, dass jetzt in dieser Situation einer den Hut aufhaben musste, und zwar er, der Kapitän. Er konnte sich das Ruder nicht aus der Hand nehmen lassen. Die Sache hier war für ihn nicht diskutierbar. Eine Landung nicht verhandelbar. Er verließ sich ganz auf die Anwesenheit der Polizei, hob den Arm und sah zu den Ordnungskräften hinüber.
»Und was jetzt?«, fragte Jens Hagen seinen Kollegen.
»Der winkt. Wink doch zurück«, erwiderte Griesleuchter.
»Oskar, das eskaliert. Die haben geschossen.«
»Ja. Kann sein. Na und? Ist einer verletzt?«
»Wir können doch hier nicht einfach abwarten …«
»Nein, besser, wir fordern Verstärkung an und beginnen eine Schießerei!«, spottete Oskar Griesleuchter.
Die ersten Touristen hatten längst die Handys an den Ohren und informierten ihre Freunde und Verwandten. Einige machten auch Fotos von der »Bürgerwehr« und dem Polizeiwagen, in dem zwei Beamte heftig miteinander diskutierten.
Der Kapitän setzte einen Hilferuf ab und befahl die Landung.
Der Trupp um Heinz Cremer rückte näher. Die großen
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