Todesbrut
ausgestreckten Armen hätten berühren können.
Der Kapitän telefonierte Verstärkung herbei und seine Mannschaft sowie einige Passagiere waren sehr wohl bereit, sich mit Gewalt Zugang auf die Insel zu verschaffen. Die Mehrheit der Ankömmlinge hatte sich auf eine sichere Position an Deck zurückgezogen. Einige holten sich auch ein Bier. Der Service öffnete auf Anordnung des Kapitäns wieder, um die Leute erst einmal zu beruhigen und den Druck aus der Situation zu nehmen. Irgendein Spaßvogel gab die Parole aus, es gäbe Freibier für alle.
Die Polizeibeamten Jens Hagen und Oskar Griesleuchter verließen ihren Dienstwagen. Jens Hagen hatte die rechte Hand auf die Pistole gelegt, eine Heckler & Koch, und das Koppel geöffnet, um schnell ziehen zu können. Er gestand sich ein, vor Nervosität und Angst Magenschmerzen zu haben. Das hier konnte jederzeit eskalieren und sie liefen Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten.
Oskar Griesleuchter hatte ein Pfefferspray griffbereit und setzte einen letzten Notruf an die Zentrale ab.
»Verdammt, wir brauchen hier Verstärkung und klare Handlungsanweisungen. Wir können das nicht aus dem Bauch heraus regeln. Mit dem normalen Gefühl für Recht und Unrecht kommt man hier nicht klar!« Und außerdem sind wir hoffnungslos unterlegen, fügte er in Gedanken hinzu.
Margit Rose stand zwischen Charlie und Benjo. Sie legte locker einen Arm auf Charlies Schulter. Es wirkte, als wolle sie sich ein bisschen hochziehen, um besser sehen zu können, was geschah, aber es war etwas anderes. Es tat ihr gut, seine Muskulatur zu spüren, gleichzeitig drückte sie ihren Oberschenkel wie zufällig gegen Benjos Bein.
Sie standen nicht weit von ihren Kindern, Dennis und Viola, von Kai Rose und den Girlies. Sie wandten ihnen den Rücken zu. Margit begriff nicht, warum Kai mit den Kindern direkt an der Reling war, wo es doch jederzeit zur Konfrontation kommen konnte. Wollte er die jungen Frauen beeindrucken? Oder vor seinen Kindern den Helden spielen? Oder war er einfach nur neugierig und schätzte die Lage weniger gefährlich ein, als sie es tat?
Die Verteidiger der Landungsbrücke hatten von einer nahen Baustelle lange Gerüststangen und Bretter besorgt. Damit versuchten sie, das Schiff wegzudrücken. Es gelang ihnen nicht, aber das Schlagen und Stoßen gegen die Außenwand der Fähre machte beängstigenden Lärm.
Holger Hartmann, der Randalierer im Feinripp, drückte und schlug mit seinem Brett nicht gegen die Schiffswand wie die anderen, sondern holte weit aus und ließ es auf die Passagiere an der Reling sausen.
Die fuhren erschrocken zurück, doch ein beherzter Nautiker wollte das Brett packen und wegdrücken, dabei klemmte er sich den Daumen. Er kreischte vor Schmerz und hätte am liebsten mit seiner Signalpistole diesem aggressiven Typen im Unterhemd eine Ladung auf die behaarte Brust gebrannt, beherrschte sich aber.
»Ich verklage Sie alle wegen Freiheitsberaubung!«, drohte Helmut Schwann, ein Fachanwalt für Steuerrecht, und zeigte triumphierend seine Digitalkamera vor, mit der er jeden Einzelnen fotografiert hatte.
Ein harter Minigolfball traf seinen Kopf. Blut schoss aus seiner Nase. Er taumelte auf einen Stuhl und seine Frau forderte ihn auf, sofort den Kopf in den Nacken zu legen. Während sie ein Tempotaschentuch unter seine Nasenlöcher drückte, machte sie ihm Vorwürfe. Ihre Stimme hatte etwas Kleinmachendes an sich.
»Was sollte das? Halte dich da raus! Wir wollen Urlaub machen. Auf der Insel begegnet man sich auf Schritt und Tritt, ich will da keinen Streit. Lass den Kopf so. Ach, was machst du denn? Jetzt hast du auch noch deine Jacke versaut und das Hemd. Na klasse. Wenn es im Hotel keine Reinigung gibt, kann ich mal wieder ran. Rei aus der Tube. Genauso habe ich mir meinen Urlaub vorgestellt. Danke, Helmut. Herzlichen Dank!«
Da warf ein Passagier vom oberen Deck eine halb volle Flasche Flens und rief: »Ab heute Morgen fünf Uhr fünfundvierzig wird zurückgeschossen! Und von jetzt an wird Bombe mit Bombe vergolten!« Er fand es witzig, Hitlers Radiorede zu zitieren, mit der der Krieg gegen Polen begonnen worden war.
Ein paar Leute an Bord der Ostfriesland III waren von Bierspritzern getroffen worden und drohten sauer nach oben. Die Flasche zersplitterte an Land hinter Heinz Cremers »Bürgerwehr«, ohne jemanden zu verletzen, heizte aber die Stimmung umso mehr an.
»Schluss! Ende! Aus! Feierabend!«, donnerte jetzt Jens Hagen in scharfem Befehlston. Er wunderte
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