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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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sich über seine eigene Lautstärke und noch mehr darüber, dass es tatsächlich still wurde. Eine Welle drückte das Schiff gegen die Vertäudalben und in genau diesem Moment nieste Dennis Rose laut auf dem Arm seines Vaters.
    Es trat augenblicklich erschrockene Ruhe ein. Selbst die Möwen kreischten nicht mehr.
    Eine alte Frau, von einigen nur Oma Symanowski genannt, die noch nicht viel von der Welt gesehen hatte und ihre Seniorenresidenz im Sauerland nur verließ, um einmal im Jahr auf Borkum Urlaub zu machen, kannte diese Art von Ruhe aus dem Zweiten Weltkrieg. Es war die erdrückende Stille am Boden, wenn die Bomber bereits von fern in der Luft zu hören waren. Die Angststille vor dem Einschlagen der Bomben.
    Sie hatte im Krieg viele Arten von völliger Ruhe kennengelernt. Zwei unterschieden sich gravierend. Die Ruhe vor der Detonation, wenn niemand wagte, auch nur ein Wort zu sprechen, als könnte er damit das Unheil auf sich aufmerksam machen, und die ohrenbetäubende Ruhe danach, wenn der Krach der Explosion noch so sehr in den Menschen nachhallte, dass davon jedes neue Geräusch geschluckt wurde.
    Das hier war ganz klar die Ruhe vor der Katastrophe, wenn jeder bereits wusste, dass das Unheil unaufhaltsam näher rückte, wenn das Summen der Flieger in der Luft lauter wurde und jedes Geräusch am Boden erstarb. Sie hatte gehofft, so etwas nie wieder erleben zu müssen. Nie mehr wollte sie diese angstgeschwängerte Stille atmen und sie durchbrach sie mit einem Mark und Bein erschütternden Schrei. Eine fette Silbermöwe verließ die Stellung auf ihrer Dalbe und machte damit zwei anderen Platz.
    Kai und Margit Rose spürten wie alle anderen Menschen, dass die Stille etwas mit ihrem Sohn zu tun hatte. Die Reihe der selbst ernannten Inselverteidiger trat merkwürdig geschlossen, als sei die Choreografie vorher einstudiert worden, einen Schritt zurück.
    Heinz Cremer sprach aus, was alle dachten: »Na bitte. Ihr habt das Virus an Bord. Fahrt zurück. In Emden kann man euch helfen.«
    »Aber … das ist doch Unsinn!«, sagte Kai Rose unsicher. Er hatte ein paar Tröpfchen von Dennis’ Hatschi abbekommen und wischte sie sich jetzt aus dem Gesicht.
    Lukka ließ die Hand von Viola erschrocken los. Die Girlies wichen ein bisschen verschämt zur Seite. Sie taten es, als würde es versehentlich, völlig absichtslos geschehen, aber jeder, der es sah, wusste es zu deuten.
    »Der Junge ist völlig gesund. Ein kleiner Schnupfen vielleicht. Mehr nicht!«, versicherte Kai Rose mit Kloß im Hals.
    Dennis begriff nicht wirklich, was geschah und wie er in den Mittelpunkt des Interesses geraten war, aber es machte ihm Angst. Er spürte eine nie gekannte Bedrohung und klammerte sich an den Hals des Vaters, dann versteckte er sein Gesicht in der Armbeuge. Er benahm sich nicht wie ein Achtjähriger, der eigentlich Pirat werden wollte, sondern wie ein Vierjähriger, der zum ersten Mal alleine bei Verwandten übernachten soll.
    Aber seine kleine Schwester Viola wurde plötzlich mutig. Als die Girlies zur Seite traten, hatte sie ihren Vater und ihren Bruder endlich wieder für sich. Ihr war noch ein bisschen schlecht von der Überfahrt und den vielen Haribos, die sie genascht hatte, aber jetzt stellte sie sich vor ihren Vater, als wollte sie ihn mit ihren Fäusten verteidigen. Stattdessen streckte sie dann einfach nur die Zunge raus und machte: »Hönönönönäh!«
    Cremer blickte auf den Jungen. In seinem Gesicht arbeitete es. »Nun gut«, sagte er nach einer Weile, »aber ohne einen Test kommt hier jedenfalls keiner an Land!«
    »Was für ein Test?«, fragte der Nautiker und zeigte heldenhaft seinen blutigen Daumen vor.
    »Einen Gesundheitstest natürlich, was denn sonst?«
    »Ihr spinnt doch alle.«
    »Nehmt das bitte nicht persönlich, aber ihr würdet genauso handeln …«, sagte Heinz Cremer und heischte mit Blicken um Anerkennung und Verständnis.
    Jens Hagen, der Gedichte schreibende Polizist, räusperte sich und versuchte, die Wogen zu glätten: »Na, das ist doch mal ein Vorschlag.«
    »Was ist doch mal ein Vorschlag?!«, äffte der Kapitän Hagens Worte nach.
    »Wir sind alle im Moment sehr nervös«, versuchte der Polizist zu erläutern, »und von der Situation überfordert. So ein Test ist doch eine gute Idee …«
    Jetzt donnerte die Stimme des Kapitäns energisch: »Herr Wachtmeister! Ich fordere Sie hiermit auf, Ihre Pflicht zu tun. Dies ist eine ungesetzliche Handlung. Wir werden daran gehindert, unser Recht auf

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