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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Sind Sie jetzt zufrieden, Sie blöder Arsch, Sie?!«
    Die ersten Silbermöwen sausten im Sturzflug herab und pickten Stücke von Lars Kleinschnittgers Fleisch aus den Wellen. Körperteile schwappten gegen die Hafenmauer, die Wellen wuschen Blut von der Dalbe, an der er zerdrückt worden war.
    Das Entsetzen lähmte die Menschen für einen Moment. Dann feuerte der Mann, der bereits den ersten Schuss abgegeben hatte, auf die Möwen in der Luft. Eine von ihnen zerfetzte ein Treffer. Federn stoben auf. Einige Möwen flohen, aber längst nicht alle. Ein paar Dutzend sammelten sich nicht weit auf dem Dach von der Fischbude.
    Holger Hartmann wäre am liebsten ins Wasser gesprungen, um den Toten zu bergen, aber er fand den Gedanken gruselig, ihn zu berühren. Was, wenn am Ende etwas fehlen würde? Ein Arm oder ein Bein?
    Er ruinierte alles, was er anfasste, ja, genauso war sein Leben verlaufen. Alles, was er begann, ging langfristig schief, egal, wie hoffnungsvoll der Start auch aussah. In jedem seiner Siege war immer schon die Niederlage angelegt. Jede Schlägerei, die er gewann, hatte vor Gericht ein übles Nachspiel für ihn. Jede Frau, die sich in ihn verliebte, begann nach wenigen Monaten, ihn zu hassen. Und genauso war es jetzt. Der Tod von Lars Kleinschnittger brachte ihn um seinen Sieg. Statt jetzt als Held, als entschlossener Verteidiger von Borkum an jeder Theke gefeiert zu werden, würden sie alle mit dem Finger auf ihn zeigen. Einer war bei ihrer Aktion auf der Strecke geblieben. Einen fraßen jetzt die Fische, falls die Möwen etwas von ihm übrig ließen.
    Jens Hagen und Oskar Griesleuchter stiegen hinab, um die Leiche zu bergen. Dabei passierte etwas mit Griesleuchter. Er hörte es wie ein Klicken in seinem Gehirn, als würde ein Schalter umgelegt werden oder eine Sicherung herausspringen, weil der Stromstoß zu stark und unkontrolliert war.

 
    20 An Bord der Ostfriesland III herrschte eine Stimmung zwischen Betroffenheit und Panik. Es gab Passagiere, die gar keine Lust mehr hatten, ihren Urlaub überhaupt anzutreten. Sie wollten nur noch nach Hause.
    Die alte Frau Symanowski befürchtete, dass sie ihre Altersresidenz im Sauerland nicht mehr wiedersehen würde. Sie fühlte sich schlecht, das Herz machte ihr Probleme und sie bekam nur schwer Luft. Es hätte ihr nicht viel ausgemacht, auf Borkum zu sterben, im Gegenteil, vielleicht war das sogar ihre heimliche Hoffnung. Aber auf einer Fähre in der Nordsee, zwischen aufgebrachten, angsterfüllten Menschen, die bereits lange Anreisezeiten in überfüllten Zügen oder auf verstopften Autobahnen hinter sich hatten, wollte sie nicht den letzten Atemzug tun. Von Ruhefinden konnte hier keine Rede sein. Und sie wusste, dass sie nicht runterkommen konnte von diesem Schiff, und das machte sie panisch. Es war schlimmer, als im Fahrstuhl stecken zu bleiben, denn diese unkontrollierbare Masse Mensch wurde für sie zur Bedrohung, zu einem Gefahrenherd, dem sie sich ausgeliefert fühlte.
    Qualm stieg ihr in die Nase. Es roch verbrannt. Zunächst fürchtete sie, ein Feuer sei an Bord ausgebrochen, doch dann wurde ihr klar, dass es Zigarettenrauch war. Allein drei Raucher standen in ihrer Nähe. Jetzt ertönte der Lautsprecher. Die Passagiere wurden vom Kapitän aufgefordert, sich ruhig und besonnen zu verhalten. Niemand schwebe in Gefahr. Die Gastronomie an Bord werde wieder aufgenommen und jeder Gast könne sich ein kostenloses Getränk abholen. Er sei in Kontakt mit allen verantwortlichen Stellen und werde sich um eine Lösung bemühen. »Wir halten Sie ständig auf dem Laufenden.«
    In Wirklichkeit war er verzweifelt. Er hatte diesen Job nur in Vertretung angenommen, weil der zuständige Kapitän der Ostfriesland sich verhoben hatte und ihm nun einige Wirbel eingerenkt werden mussten. Ausgerechnet in der Ferienzeit.
    Ole Ost walkte sich das Gesicht durch. Er erreichte niemanden. Dafür bekam er Anfragen von Journalisten. Sogar jemand von einem japanischen Fernsehsender hatte inzwischen seine Handynummer. Einem der Schiffsleute hatte ein Privatsender fünfhundert Euro für ein Live-Interview am Telefon geboten.
    Ole Ost wollte nicht einfach nach Emden zurückfahren. Er brauchte eine klare Ansage von der Reederei.
    Nicht ohne Sorge beobachtete er drei Kampfjets im Tiefflug. Sie kamen im Formationsflug näher. Für einen irren Moment war es, als würden sie das Schiff angreifen wollen. Noch nie zuvor war eine Militärmaschine so tief über die Fähre geflogen. Der Lärm und

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