Todeserklärung
Pakulla benutzte einen juristischen Fachbegriff wie beiläufig. Ihn zu benutzen erschien ebenso wenig zufällig wie Pakullas Wahl der Kanzlei.
»Und die Vorfahren Ihrer Eltern?«, fragte Knobel.
»Alle tot.«
Pakulla lehnte sich zurück und beantwortete die nächste Frage im Voraus:
»Weder mein Bruder noch ich haben Kinder oder Ehefrauen. Erbrechtlich ist es also ganz einfach: Es gibt lediglich eine Tante, deren einzige Erben mein Bruder und ich sind. Punkt.«
Knobel bemühte sich um einen milden Tonfall.
»Sie scheinen sich im Erbrecht gut auszukennen.«
»Man lernt am konkreten Fall – und das heißt im vorliegenden Fall durch das Nachlassgericht, von dem ich gerade komme.«
»Wie also kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte Knobel ungeduldiger.
Ein eigentlicher Fall zeichnete sich nach Pakullas Erläuterungen nach wie vor nicht ab.
»Ich habe nach Tante Esthers Tod einen Erbschein beantragt und auch erhalten. Aber handlungsfähig bin ich mit diesem Papier nicht. Ich komme nicht an Esthers Sparguthaben und ihr sonstiges Vermögen. Ganz zu schweigen von den Immobilien, die es noch in Holland gibt! – Um es kurz zu machen: Ich brauche für alle Geschäfte, also für die Erbauseinandersetzung, meinen Bruder als Miterben! Aber Sebastian ist nicht auffindbar.«
Gregor Pakulla hob ratlos die Schultern.
»Das ist Ihr Fall, Herr Rechtsanwalt: Suchen Sie meinen verschwundenen Bruder Sebastian.«
Knobel verschränkte seine Arme.
»Wir sind keine Privatdetektei, Herr Pakulla.«
Knobels Tonfall war kalt, seine Bemerkung nicht darauf bedacht, um Verständnis zu werben. Er blickte entschlossen in Pakullas Gesicht. Knobel mochte diesen Mandanten nicht. Er hatte gelernt, geschäftlich und geschäftstüchtig auch mit jenen umzugehen, die ihm persönlich nicht behagten. Doch bei Gregor Pakulla kam hinzu, dass dieser sich zu einem Zeitpunkt in Knobels Leben drängte, als ihn die morgendliche streitlose und deshalb viel ernsthaftere Trennung von Lisa bohrend beschäftigte, dazu das unangemeldete und scheinbar zufällige Erscheinen Pakullas störend wirkte und schließlich die langatmige Geschichte Pakullas nicht mehr abwarf als die Suche nach einem verschwundenen Bruder.
»Ihr Fall ist nichts für einen Anwalt!«, fasste Knobel zusammen.
»Sie sind arrogant«, gab der Mandant zurück.
Pakulla lächelte verschlagen.
»Sie wissen doch längst, dass ich extra einen Anwalt, genauer gesagt, bewusst Ihre Kanzlei aufgesucht habe und nicht einen Privatdetektiv!«
Und er fügte hinzu:
»Tante Esther hat ein Vermögen hinterlassen, es geht um richtige Werte, glauben Sie mir!«
Knobel wartete schweigend.
»Vielleicht kümmern sich in erster Linie Detektive um solche Angelegenheiten«, fuhr der Mandant fort, »aber bei Ihnen weiß ich die Angelegenheit in besseren Händen! Ich möchte nicht nur, dass Sie meinen Bruder finden, sondern dass Sie alle Dinge im Zusammenhang mit Tante Esthers Nachlass abwickeln. – Ich weiß, dass das alles mit größerem Zeit-und Arbeitsaufwand verbunden ist. Deshalb werde ich Sie nach Stundenaufwand bezahlen.«
Pakulla lehnte sich vor, griff in seine Gesäßtasche und zog ein Portemonnaie hervor.
»Schlage vor, 200 Euro die Stunde, Herr Rechtsanwalt!«, wobei er grinste und zwei 100-Euro-Scheine auf den Tisch legte.
Knobel saß noch immer mit verschränkten Armen da.
»Nun nehmen Sie sie schon!«, forderte Pakulla sanft, »wie Sie sehen, bin ich über Ihre Honorargepflogenheiten informiert. – Ich bin zu Ihnen gekommen, weil Ihre Kanzlei einen ausgezeichneten Ruf genießt.«
Knobel hob erstaunt die Augenbrauen.
»Das weiß ich von meinen Nachfragen bei den Rechtspflegern beim Dortmunder Amtsgericht. Und ich habe mir Ihre Website im Internet angesehen. Der Auftritt Ihres Unternehmens hat mich überzeugt! Sie definieren klar Ihre Konditionen und Ihre Leistungen. Was soll ich mehr sagen?«
Knobel löste sich.
Nicht, dass er Gregor Pakulla nun mehr mochte, aber sein Mandant hatte ihn überlistet. Wortlos schob er Pakulla ein Vollmachtsformular und die Mandatsbedingungen zur Unterschrift über den Schreibtisch.
»Sie werden es sich vielleicht schon gedacht haben«, fuhr der Mandant fort, während er flüchtig über die Schriftstücke blickte und sodann mit zackiger Unterschrift versah, »dass ich nicht aus Dortmund komme. Dortmund ist meine Heimat, aber nicht mehr mein Wohnsitz. Ich wohne seit 11 Jahren in Limburg. Und das ist ein Grund mehr, hier vor Ort jemanden zu haben, der sich
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