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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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schließlich an.
    Er stand auf und ging zu ihr hinüber, machte Anstalten, sich vor sie hinzuknien.
    »Nicht doch«, murmelte sie und schob ihn weg.
    »Ich bin kein guter Mensch«, klagte er sich an, während seine Hände versuchten, unter ihre Röcke zu wandern. »Ich bin dir kein guter Gatte, ich weiß es ja.«
    »Andreas«, flüsterte sie, »Andreas, bitte … ich …« Sie wusste kaum mehr, wie sie ihn im Guten bändigen sollte. »Lass doch, ich … nein, ich … Nein!« Endlich schrie sie es in ihrer Not heraus.
    Er erschrak so sehr, dass er innehielt. Nie erhob Maria die Stimme im Haus. Über sein Gesicht zogen verschiedene Gefühle, schließlich siegte der Grimm. »Na gut.« Er stand auf und klopfte sich die Hosen ab, was wenig brachte, sie waren in einem ebenso schlimmen Zustand wie der Rest seiner Kleidung.
    Vor Scham und Erleichterung streckte Maria Sibylla die Hände aus. »Gib mir deine Jacke«, sagte sie, »ich mach sie sauber.«
    Er warf sie ihr in die Arme und marschierte Richtung Werkstatt. »Und vergiss die Stecher nicht«, rief er im Kommandoton aus dem Flur.
    Maria schüttelte das Kleidungsstück aus. Soße, Wein, Schmutz färbten den Stoff dunkel. Unter dem Ärmel klaffte ein Loch, die Verschnürung vorne war mehrfach gerissen. Und an einer Stelle hing ein dreckiger Fetzen. Sie zog ihn mit spitzen Fingern ab. Es war Weißzeug, lange schon nicht mehr weiß, und sah aus, als gehöre es zu gutem Unterzeug, etwa zum Unterrock einer Frau. Maria strich das Stück Stoff glatt und starrte es lange an, ehe sie begriff, wo sie einen so bestickten Saum vor Kurzem erst gesehen hatte.

6
    Maria Sibylla rannte, bis ihr der Atem ausging. Sie hielt am Tiergärtnertor kaum inne, lief weiter am Siechhaus mit der Kapelle vorbei und achtete nicht auf die Kreuzigungsgruppe. Sie blieb nicht einmal stehen, um den Bauern zuzusehen, wie sie mit Stöcken auf Obstbäume hieben, um die unter der Rinde hockenden Raupen abzuschlagen. An anderen Tagen wäre sie hingegangen und hätte ihr Halstuch ausgespannt, um eines der Tiere sorgsam aufzufangen. Jetzt lief sie wie um ihr Leben, solange in ihrem Kopf das Bild des Stofffetzens nachglomm, wie er sich in der Glut ihres Küchenfeuers schwärzte und krümmte.
    Hätte jemand Maria gefragt, sie hätte nicht einmal genau zu sagen vermocht, was sie antrieb. Da war nichts als der vage Drang, irgendetwas zu tun. Andreas hatte sich mit der ermordeten Magd zu schaffen gemacht. Wenn es dafür auf seiner Seite Beweise gab, so dachte sie, musste sich auch auf der Seite der Toten etwas finden lassen. Das war ihre Angst, das trieb sie an. Was immer es war, sie – Maria – würde das Beweisstück sofort entdecken. Und beseitigen. Damit nicht ihr Mann, ihr lieber Andreas, der doch nur ein wenig über die Stränge zu schlagen pflegte, in einen üblen Verdacht kam. Damit er nicht …
    Maria Sibylla hielt inne, schwer atmend. Sie musste sich krümmen, so sehr stach es sie in die Seite. Andreas!, dachte sie. Andreas, wie er war, wenn er getrunken hatte. Wie er ihr eben an die Röcke gegangen war, mit der Stimme eines klagenden Kindes, aber mit Händen, die frech waren und rücksichtslos. Aber waren sie auch brutal? Würden sie sich um einen Frauenhals legen und zudrücken?
    Unwillkürlich strich Maria ihre Röcke glatt, an deren Sitz nichts auszusetzen war. Und wenn er es tatsächlich getan hatte? Wenn ihr Andreas …? Sie presste die Hand vor den Mund, um ein Keuchen zu unterdrücken.
    »Kann ich helfen?« Der Mann, der sie angesprochen hatte, neigte sich ein wenig vor. »Seid Ihr nicht die Malerin?«
    Erschrocken schaute Maria zu ihm hoch. Er war ganz in Schwarz gekleidet, besaß ein schmales, fast asketisches Gesicht, jedoch freundliche graue Augen. Das Haar war an den Schläfen schon beinahe weiß, dabei hatte er kaum Falten, nur ein strenges Paar Linien, das von der Nase zu den Mundwinkeln führte. Er hätte missmutig aussehen können, aber er lächelte.
    »Ich habe mich nicht getäuscht«, sagte er und begrüßte sie förmlich. »Wir wurden einander bei der Jungfer Imhoff vorgestellt«, erinnerte er sie.
    »Ach, der Arzt!« Maria Sibylla beeilte sich, ihre Gedanken zu sammeln. Niemand sollte sie bleich oder gar verweint am Wegrand stehen sehen. Es war schon schlimm genug, dass sie hier ohne Umhang unterwegs war, ohne züchtige Begleitung und vor allem: ohne eine gute Erklärung dafür.
    »Arzt, ja. Allerdings fürchte ich, Ihr verwechselt mich mit dem ehrenwerten Dr. Volkamer. Ich bin nur

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