Todesfalter
verdächtigen Muttermale, nicht rot, nicht groß«, murmelte er.
»Was hätte das zu sagen?«, erkundigte Maria Sibylla sich.
Er setzte das Glas ab und schaute sie an. »Hinweise auf Hexerei«, sagte er knapp. In seiner Stimme lag ein Hauch von Ironie. »Unsere Mutter Kirche ist immer erpicht darauf zu hören, ob solcherlei eine Rolle spielt. Aber dass diese hier eine Hexe war, können wir wohl ausschließen.« Er seufzte. »Allerdings finde ich auch keine eindeutigen Wunden.«
»Was ist mit den Würgemalen am Hals?« Maria konnte vor Aufregung kaum sprechen.
Wieder ließ er das Glas sinken, um ihr einen Blick zuzuwerfen. Dann aber betrachtete er ohne Einwände die von ihr benannte Stelle.
»Würgemale, hm«, meinte er. »Das hier und das scheint mir eher auf etwas anderes hinzudeuten. Auf eine causa amoris sozusagen.«
Maria verstand kein Wort.
»Liebesbisse«, brachte er schließlich heraus.
Maria riss die Augen auf. »Ihr meint, sie ist gebissen worden?«
Jetzt konnte er sich ein Grinsen doch nicht verkneifen. »Nicht im landläufigen Sinne«, erklärte er. »Aber es gibt eine Form des Küssens, die derartige Flecken hinterlässt. Verzeiht mir, wenn ich …«
Maria Sibylla errötete wie noch nie in ihrem Leben. »Schon gut, ich bin eine verheiratete Frau.« Und eine, die so noch niemals geküsst wurde, dachte sie bitter. Und das weiß Dr. Peller nun genauso gut wie ich. Mehr um ihre Verlegenheit zu überspielen als aus einem konkreten Grund nahm sie ihm das optische Glas ab und neigte sich ihrerseits über den Hals. Sie verharrte lange in dieser Position. Endlich waren ihre Wangen wieder kühl.
»Hier ist etwas«, sagte sie schließlich. »Hier, an dem langen Mal, seht Ihr? Ich denke, dass dieses doch von einer Schnur oder etwas Ähnlichem stammen muss. Und da ist so eine Art Fussel.«
»In der Tat«, brummte der Arzt, der sich seinen Unterlagen gewidmet und nur kurz den Kopf gehoben hatte. Er schien ein wenig ungehalten, dass er noch einmal mit neuen Erkenntnissen gestört wurde, die seinen Bericht durcheinanderbrachten. Mit einer Pinzette fischte er heraus, was Maria ihm zeigte. »Eine Faser«, bestätigte er. »Die könnte von einem Halstuch stammen. Aber das fehlte ja, wie Ihr bemerktet.« Er zuckte mit den Schultern. »Blau, würde ich sagen. Ich wüsste allerdings nicht, wie uns das weiterhelfen sollte. Was den Flecken angeht, habt Ihr vielleicht recht. Ich notiere also: möglicherweise erdrosselt. Vielleicht hat sie auch einfach der Schlag getroffen.«
Ihr fehlten die Worte. Der Schlag! Maria Sibylla starrte den Arzt an, der sich wieder seinen Aufzeichnungen widmete, als wäre sie gar nicht da. »Ihr meint also nicht, dass sie ermordet wurde?«, wagte sie immerhin noch zu fragen. Ihre Gedanken rasten. Gut so, flüsterte eine Stimme in ihr. Wo kein Mörder gesucht wird, kann auch keiner gefunden werden. Und Andreas wäre in Sicherheit. Andererseits kam ihr all das so hanebüchen vor, dass sie kaum an sich halten konnte. Der Schlag! Welcher vernunftbegabte Mensch würde angesichts des geschundenen Mädchenkörpers zu so einem Schluss gelangen! Das war doch zu unsinnig, einfach dumm. Sei still, ermahnte sie sich selber, aber es fiel ihr schwer. Dabei hatte der Mann so sympathisch gewirkt.
Als hätte er ihren letzten Gedanken gehört, schaute er auf und lächelte ihr zu. »Ich danke Euch sehr, Frau Gräffin, für Eure Hilfe. Ab jetzt liegt die Sache in den Händen des Rates. Wir beide sind nicht mehr gefordert.« Er legte die Feder nieder und löschte das Geschriebene mit einer Handvoll Sand, die er einfach vom Boden nahm. Sorgsam blies er den Schmutz wieder fort. »So. Ab jetzt können wir uns wieder den angenehmen Fragen und den Faltern widmen. Tagvögelein, nennt Ihr sie nicht so?«
Maria Sibylla, die ihn in Gedanken mit weit weniger idyllischen Namen bedacht hatte, nickte mechanisch.
Er stand auf und reichte ihr die Hand. »Auf dann also, möchte ich sagen. Bis bald in den Gärten Eurer Welt?«
Sie nickte noch einmal. »Gerne«, brachte sie heraus. Lass es gut sein, mahnte sie sich, alles steht zum Besten. Es ist nicht klug, immer alles zu sagen, was man denkt – gerade für eine Frau. Sei klug, Sibylla, redete sie sich gut zu, wenigstens dieses eine Mal. Und sie versuchte ein zuckersüßes Lächeln.
8
Der Heimweg fiel Sibylla leichter. Beatas Unterrock war verschwunden, irgendwo zwischen dem Laufer und dem Tiergärtnertor, in den Händen irgendeines Menschen, der sich davon einen
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