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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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vorsichtig aus dem Netz zu holen. »Alles gut gegangen?«
    Maria blies vorsichtig auf die zarten Flügel, die sich unter ihrem Atem einmal hoben und senkten. Der feine Staub darauf war unversehrt. »Ja«, bestätigte sie. »Alles gut gegangen.« Maria hielt einen Moment inne, dann warf sie den Falter mit einer raschen Bewegung in die Luft und ließ ihn fliegen. Sie sah ihm nach, wie er in torkelndem, kurvigem Flug über die Wiese verschwand. So war es ihr lieber.
    Clara protestierte nicht. Sie klatschte in die Hände. »Zeit zum Essen«, rief sie.
    Die anderen Jungfern der Companie kamen herbei und lagerten sich rund um das Tuch, das Clara ausgebreitet hatte. Aus einem Korb wurden Tonbecher geholt, ein versiegelter Krug, ein Laib Brot und Äpfel. »Gibt es was Besseres?«, fragte Magdalena mit vollem Mund und legte sich ins Gras. Der Himmel über ihnen war blau, getupft mit kräftigen weißen Wolken, Wind rauschte in den Hecken. Der Turm der Burg grüßte als ferne Silhouette herüber. Ein Schwarm Krähen flog vorbei und ließ mit seinem Geschrei die eine oder andere an den Rabenstein denken, neben dem sich heute ganz Nürnberg versammelt hatte, um der Hinrichtung Pellers beizuwohnen. Er sollte aufs Rad geflochten werden. Es hieß, man habe ihm die Gnade verweigert, ihm den Brustkorb und die lebenswichtigen Körperteile vorher zu zerschmettern. Es würde wohl lange dauern bis zu seinem Ableben.
    »Was ist denn das?«, fragte Magdalena und setzte sich wieder auf. Glöckchenklingeln drang vom Weg her zu ihnen. Langsam zeigte sich in der Kurve ein kleiner Zug aus hoch beladenen Mauleseln, begleitet von einer Gruppe Männer in fremden Trachten.
    »Sind das Zigeuner?« Dorothea legte die Hand über die Augen.
    »Das sind doch nur die Stuckateure«, sagte Clara, »sie ziehen ab. Das Fembohaus ist fertig.«
    Wie auf Verabredung verstummten die Mädchen. Als wäre das ihr Zeichen, erhob Maria Sibylla sich und ging alleine über die Wiese zum Hohlweg hinunter. Ihr blaues Kleid flatterte im warmen Wind und stand wie ein Segel über dem Gras. Die krausen Locken, die sich wie immer gelöst hatten, wehten ihr ins Gesicht. Sie strich sie sich aus der Stirn, als Carlo Moretti stehenblieb und seine Kappe abnahm. Rasch trieben seine Gefährten die Maultiere an und nahmen in einiger Entfernung ihr Gespräch wieder auf.
    Maria betrachtete ihn, diesen Mann mit dem vom Leben gezeichneten, dunklen Gesicht und den leidenschaftlichen Augen. Seinen Hals, den die Sonne gebräunt hatte, die starken Schultern und die Hände, breit, kurz, mit abgearbeiteten Fingern, unter deren Nägeln zu jeder Zeit der Gips hing. Hände, die sie nie wieder berührt hatten. Aber einmal, einmal war es geschehen.
    Sie dachte daran, dass sie bereit gewesen war, ihr Leben für ihn hinzuwerfen, mit ihm über die Straße, auf der sie heute stand, ins Unbekannte zu ziehen. Dachte an seinen Kuss in diesem seltsam unwirklichen Urwald aus Gips, in dem sie sich für einen Moment verloren hatte. Sie konnte sich gut an das Gefühl erinnern, aber zu empfinden vermochte sie es nicht mehr.
    Er schien das zu spüren, denn er lächelte traurig. Auf seiner Wange, bemerkte sie, verlief eine Narbe, die früher nicht da gewesen war. Als sie etwas sagen wollte, schüttelte er den Kopf. »Nicht derselbe Weg«, meinte er. »Hab ich gewusst. – Aber ein Weg kommt«, fuhr er fort. »Bin ich sicher. Wirst sehen, du gehst. Einen Tag.«
    In Maria wallte etwas auf. Sie legte ihm ihre Hand auf die Brust. Es gab so viel, was sie hätte sagen wollen, aber die rechte Reihenfolge fiel ihr nicht ein. Sie wusste nicht wo beginnen, konnte manches auch nicht erklären. Schließlich drückte sie nur ein, zwei, drei Mal gegen seine breite, warme Brust. So wie er damals gegen den Rupfen des Sackes gedrückt hatte, unter dem sie verborgen gelegen war. Eben noch in seinen Armen, aber schon für immer von ihm getrennt. Sie wusste selbst nicht, warum ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Gute Reise«, brachte sie endlich heraus.
    Er verneigte sich, nahm ihre Finger und küsste die Innenseite ihres Handgelenks, dann ließ er sie los und setzte seine lederne Kappe auf. »Gute Reise«, wiederholte er ihre Worte und ging.
    Maria schaute ihm lange nach, der Zug verschwand langsam zwischen den blauen Hügeln. Er aber wandte sich nicht mehr um.

Nachwort
    Todesfalter ist ein Kriminalroman und kein Versuch, das Nürnberger Kapitel in der Biografie der Maria Sibylla Merian zu schreiben, das von 1670 bis 1681

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