Todesformel
wären die Quäler vom Grauen der gequälten Tiere durchtränkt. Katzen sehen diese Menschen dunkel, man sagt, sie könnten deren ›Auren sehen‹; mit gesträubten Haaren schleichen sie unauffällig weg.«
Sven verpasst mir einen leichten Puff: »Bleib auf dem Boden!«
Ich schüttle mich, lache leichthin, »Ich halte es wie die Katzen, nicht an derartige Menschen denken, sonst bemerken sie dich, dann kannst du dich nur noch mit einem Sprung in den Straßengraben retten.« Mein Seitenblick trifft auf Svens Blick. Lese ich Besorgnis darin, denkt Sven, was ich denke?
* * *
Seltsamerweise ist es Claas und nicht Sven, dem ich am Abend die Geschichte erzähle. Noël war wieder im oberen Stockwerk, wie ich nach Hause kam, und Claas hat mich zu einem Glas Wein eingeladen, wenn Noël dann im Bett sei. Er habe Lust, noch mit jemandem zu plaudern.
Claas stellt Verveine-Tee mit Likör und Zimtkuchen auf, besser als Wein. Wir unterhalten uns über dieses und jenes, ich erwähne den Ausflug von heute Nachmittag. Claas ist sehr interessiert an der Gegend, aus der ich stamme. Eine Gegend präge die Menschen, die in ihr lebten, sich darin bewegten, darin atmeten, es sei eine Wechselwirkung, alles stehe mit allem in Bezug. Wir kommen auf die Verwicklungen zu sprechen, die sich dort oben anscheinend abspielen, die Todesfälle werden in den Zeitungen erwähnt. Natürlich kommen wir auch auf die reiche Familie Platen zu sprechen. Auch Alja ist für ihn typisch für dieses städtische Hinterland, eine Erfolgspianistin, die sich zur Ruhe setzt und sich offensichtlich verändert, mit der Natur verbindet, dies auf schöpferische Art umsetzt in Zeitungskolumnen. Es seien doch offensichtlich oft die Zugezogenen, die in einer Gegend Sonderleistungen erbrächten. Es habe sicher auch mit den klimatischen Bedingungen zu tun, möglicherweise sei es das windige raue Wetter, das durch und durch gehe, an das sie nicht gewöhnt seien.
Musiker sind besondere Menschen, sensibel, empfindsam, möglicherweise trifft das auch für Schreiber von Kaffeetischbüchern zu.
Für Alja typisch war, wie sie gleich zu Beginn ihres Landlebens diesem jungen Uhu das Leben gerettet hat, es wurde zur Legende. Ihr Zusammenprall mit Charlotte Platen hat ihr im Dorf Respekt gebracht.
Alja hat die Geschichte Noël erzählt. Sie saß in der frühen Morgensonne auf den Eingangsstufen zu ihrer Mühle, einen Pullover über die Schultern gelegt. Den ganzen Vorplatz bis zu diesen Stufen hatte sie vom Unkraut befreit, also ökologiebewusst von Hand gejätet, und mit hellem Kies aus dem Baumarkt bedeckt. Sie liebte, hier zu sitzen, sich ihren zukünftigen Garten vorzustellen, die ersten Rosenbüsche, alte englische Teerosen oder Moschusrosen, eine zarte Aprikosenfarbe. Sie trank ihren Morgenkaffee, las die Zeitung, genau wie sie es sich immer erträumt hatte. Ida lag entspannt neben ihr, das war der Dackel mit den etwas langen Zitzen, den sie aus dem Tierheim geholt hatte. Auch die Leine lag griffbereit neben ihr, falls jemand käme. Sie kannte Ida ja noch zu wenig.
Da hörte sie oben im Wald lautes Krächzen und wilde Schreie eines Vogels – waren das nicht Schüsse? Oben über der Lichtung flatterten schwarze Krähen.
Sie musste hin, schon lief sie in ihren alten Turnschuhen, im verwaschenen Hawaiihemd, der sehr kurzen Hose den Weg zum Wald hoch. Wieder ein gellender Schrei, und da, unverwechselbar das helle Knallen von Schüssen.
Auf dem Trampelpfad lief sie den lichten Buchenwald hoch, Ida knapp bei Fuß, dem Lärm entgegen: Die Schüsse kamen direkt von der Lichtung, wieder die gellenden Schreie eines Vogels, das Krähengeschrei, wieder das Gellen. Alja lief unüberlegt und entgegen jeder Vorsicht, ohne zu bedenken, auf wen oder was sie treffen wird. Ida lief die ganze Zeit dicht vor ihr, mit ihr in Kontakt, gespannt, aufgeregt, mit gestelltem Wirbelhaar, ein Superhund. Die letzten Schritte zur Lichtung gingen sie langsam und vorsichtig, zuletzt im Sichtschutz des dichten Unterholzes. Rasch schlaufte Alja Ida die Doppelleine durchs Halsband, nicht dass sie unkontrolliert loslaufen konnte, bückte sich nach einem dicken armlangen Ast. Sie drängten sich durch die Büsche, an einem der Zweige blieb Alja mit ihrem Hemd hängen und riss sich los. Die Lichtung lag vor ihnen, glänzendes Gras, helldunstiges Licht. Da war der riesige Krähenschwarm, hoch- und niederwogend, kreischend und krächzend, auf irgendetwas in der Mitte der Lichtung niederstürzend. Jetzt
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