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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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ich sie nach ihrer Halbschwester, mit der sie anscheinend in Nachbarschaft lebe.
    »Zu Chantal hatte ich nie irgendein Verhältnis, wir waren zu Rivalinnen geboren und erzogen. Ich hatte dies schon immer als unwürdig empfunden, es wäre billig, mich über meine Halbschwester negativ zu äußern. Jeder Mensch beansprucht Platz, wo er ist, wie eine Pflanze, Erde, Wasser, Luft, Raum, Sonne. Als sich keine Schwangerschaft einstellte, hat Chantal zunächst Tennis gespielt, bald schon Golf, gleichzeitig engagierte sie sich mehr und mehr in der Öffentlichkeit – wenn es bei mir die Arbeit ist, so ist bei ihr die politische Partei der Familienersatz.«
    Ich habe Claas’ spöttische Stimme im Ohr, wie er die Homepage dieser Chantal Platen-Alt kommentierte. Sie sei beeindruckend. Sie arbeite in zahllosen Kommissionen und Gremien und habe anscheinend noch Zeit, Medienkurse mitzumachen. Deshalb wohl sehe man ihre Fotos andauernd in der Lokalzeitung, lächle ihr Gesicht von Plakaten. Mattis Platen-Alt zeige sich gern mit ihr, sie beide liebten es, gesehen zu werden.
    »Ihre Halbschwester hält viel von gesunder Nahrung, das konnte ich auf ihrer Homepage lesen. Es stand dort, dies zeige, wie auch bei der ›Delton Biotec‹ weitblickende Menschen am Werk seien. Sie beziehe ihr Gemüse aus dem Bioversuchsgarten der ›Delton‹, es sei auf kontrollierter Komposterde gewachsen, ebenso beziehe sie das Fleisch vom Eichbühl, dem landwirtschaftlichen Zuchtbetrieb der ›Delton Biotec‹ …«
    Meret Platen fällt mir ins Wort: »Von dort wird wöchentlich das Fleisch für Chantals Hunde gebracht. Es wird immer in ganzen Tiervierteln geliefert, schon gefroren, wird hier auf ›Holsten‹ in der ehemaligen Waschküche im Waschhaus zersägt. Das Muskelfleisch ginge ja noch, doch dieses entsetzliche Splittergeräusch. Es tönt so schrill vom Waschhaus herüber, wenn das Sägeblatt durch Knochen knirscht. Früher wurde mir übel dabei, ich litt jeweils kurz vorher an Kopfschmerzen. Jetzt habe ich zumindest durchgesetzt, dass dies in meiner Abwesenheit oder anderswo erledigt werden muss. – Die Hunde sind Chantals Hobby, wenn sie hier in den ›Höhen‹ ist, füttern, dressieren, bewegen. Chantal hat die trächtige Bear aus dem Tierheim geholt, einen struppigen Picard. Haben Sie das Foto davon auf ihrer Homepage gesehen? Es sind harte Hunde, Schäferhunde eben. Vorher war es ein Barsoi, Kropotkin, einer dieser hochbeinigen, edlen russischen Jagdhunde. Chantal musste ihn einschläfern lassen.«
    Wieder ein plötzlicher Stimmungswechsel, »Kennen Sie Hölderlin? Kennen Sie diese wunderschönen Worte: ›Wo nehm ich, wenn es Winter ist, die Blumen und wo den Sonnenschein und Schatten der Erde?‹? Mein richtiger Vater muss mir Gedichte rezitiert haben; sie gaben mir später Wärme, als nichts mehr da war, Worte wie Wolken, Musik, die ab und zu hochklang und wieder versank. Niemand durfte wissen, dass es da etwas so Schönes gab, Freude würde zertreten.«
    Unvermittelt geht Meret Platen zu ihrem Sekretär aus hellem Kirschholz, öffnet die unterste Schublade, holt einen in weichen blauen Samt gewickelten Gegenstand heraus, schiebt die Schublade zu. »Ich möchte Ihnen etwas schenken. Zum Dank, nicht als Honorar. Ihre Rechnung erwarte ich, wenn alles vorbei ist. Falls es dauern sollte, schicken Sie sie mir vorher, Sie rechnen doch monatlich ab? Übrigens, Sie haben mir das Leben gerettet und ich weiß, ich habe vorher keine Tablette geschluckt. Ich habe es mir überlegt, da war möglicherweise schon etwas in dem Tee, den ich bei der Einvernahme trank, ich fühlte mich abseitsstehend, leicht benebelt. Es kann aber auch anders gewesen sein. Hier zu Hause bin ich ohne Vorwarnung zusammengeklappt. Die Erinnerung bricht in meiner Küche ab, ist ausgelöscht. Ich verriegle zuverlässig gleich beim Nachhausekommen die Eingangstür. Vor dem Zubettgehen schalte ich jeweils die Sicherheitsanlage ein. Ich weiß nicht, wie ich in mein Bett gekommen sein soll. Alja hat Sie offensichtlich als mein Schutzengel aufgeboten.« Sie lächelt.
    Aus dem Samt wickelt sie eine ovale Bleischale. »Die hat mir mein Vater als Spielzeug gegeben, als ich noch ganz klein war. Er hatte sie von seiner eigenen Großmama. Es ist ein ganz besonderes Gefäß, das man nie weggeben solle, es gehört jeweils in die Hände der nächsten Generation.«
    Die Schale hat ein überraschendes Gewicht, wiegt schwer wie Blei eben, in ihren Grund ist ein kreisrundes blaues Glas

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