Todesformel
so oft in den Mund nehmen.
Wir plänkeln hin und her, lachen. ›Das können wir gemeinsam tun‹ als Zauberwort.
Ein Gespräch auf der Gemeindeschreiberei von Hochberg/Feldisberg wäre ideal, müsste mehr bringen als das Übertragen irgendwelcher Daten. Sven fixiert den Termin gleich auf den frühen Nachmittag.
Feldisberg ist ein Straßendorf, die Häuser stehen entsprechend eng, ehemalige Bauernhäuser mit großen Dächern. Bei der Straßengabelung in der Mitte steht auf der hohen Mauerbrüstung die Kirche, schräg unterhalb die Gemeindeschreiberei und der Gemischtwarenladen.
Mit Marlies Moser, der Gemeindeschreiberin, bin ich zur Schule gegangen. Ich mochte sie gern. Gesehen habe ich sie von Weitem bei Felix’ Begräbnis. Mollig ist sie geblieben: herzförmiges Gesicht, Stupsnase, braune Augen, durch die Brillengläser etwas vergrößert, mit grünen Lidschatten, makellos glatte Haut. Sie trägt ein gelbes Wollkleid, bewegt sich selbstbewusst, sehr weich. Sie holt tac tac tac alle vorhandenen Daten auf den Bildschirm, liest selektiv das Wichtige heraus, einmal schnell, einmal langsam, ergänzt bei Bedarf: zuerst Fred Roos, der Sicherheitsbeauftragte. Seine Grunddaten sind uns bekannt. Im vergangenen Jahr hat er ein respektables Gehalt versteuert, plus Firmenauto, Weiterbildungsseminaren und Berufsgerätschaften. Das letztbesuchte Seminar fand in Texas statt, nicht Dallas. Berufsgerätschaften im vergangenen Jahr sind: ein extrem teures Natel, ein Laptop, eine Filmkamera. Marlies Moser meint, Fred Roos habe jährlich mindestens eine neue Kamera oder auch ein Fernsichtgerät von den Steuern abgesetzt. Die Belege stimmten immer. Mit einem etwas sehr staunenden Unschuldsblick schaut Marlies vom Bildschirm zu Sven: »Ist es das, was ihr wissen müsst?« Dann lächelt sie mir zu: »Arbeitest du jetzt doch wieder im Staatsdienst? – Ah, Studienkollegen?« Marlies schaut betont gleichgültig: »Zeigst du dem Herrn Kommissar die ›Höhen‹? Er ist ja ab und zu bei deinem Vater zu Besuch.«
Marlies Moser weiß viel. Bis zum Wechsel hat Fred Roos oben auf ›Holsten‹ gewohnt. Mit ›Wechsel‹ meint sie: »Als Frau Direktor Platen ihren Wohnsitz nach Chexbres oberhalb des Genfersees verlegt hat, es ist eine dieser Residenzen. Sie hat ihre Papiere großzügigerweise hiergelassen. Es war ja altershalber, anscheinend ist sie jetzt geistig mehr und mehr weggetreten. Sie wird nie mehr hierher zurückkommen. Also seit diesem Wechsel vor sechzehn Jahren wohnte Fred Roos in einem eigenen kleinen Haus in Feldisberg. Von hier aus konnte er auch sehr gut in der Firma in der Stadt arbeiten, die Distanz ist kein Problem, ermöglicht das heile Landleben. Auch Meret Platen macht diesen Weg täglich. Eigentlich versteuerte Fred Roos seit sechzehn Jahren ein Doppeleinkommen, gerade noch einmal so viel. Ja, das muss man im Dorf den Leuten immer wieder sagen und man muss es berücksichtigen: Es gibt ein paar gute Steuerzahler hier oben, wobei ›Holsten‹ mit Abstand natürlich am ergiebigsten ist. Solange die alte Frau Charlotte Platen ihre Papiere hier behält und solange vor allem auch Meret Platen ihren Wohnsitz hier hat, bleibt die Finanzlage der Gemeinde mehr als gesichert. Jetzt haben wir auf unserem Gemeindegebiet schon die regionale Mehrzweckhalle, das Kirchenzentrum, die Anlagen des Schwimmbads, jetzt ist das Seniorenzentrum im Bau.«
»Fred Roos war also nicht verheiratet?«
Endlich sieht Marlies wieder vom Bildschirm hoch. »Er hatte auch keine Frauenbesuche. Wenn man mich fragt, so scheint er Frauen nicht gerade gemocht zu haben. Weiter gibt es hier keine besonderen Bemerkungen, keine Betreibungen. Eigentlich seltsam, wenn ich denke, wie schnittig er jedes Mal durchs Dorf fuhr, wenn er nicht im Dienst war. Über den Daumen gepeilt hätte ich jedes Mal gesagt, er fährt mindestens fünfzehn über der Limite. Wer immer zu schnell fährt, nimmt das Gesetz nicht ernst. Seine Steuerunterlagen waren immer so korrekt, das könnte heißen, er wäre möglicherweise zu clever gewesen für uns.« Sie blickt wieder hoch. »Er war ja in Knuts ›Jass‹-Runde.« Schon hält sie erschrocken inne: »Man kann nichts daraus schließen, das war Felix auch. Das mit Felix muss aber grässlich sein für Knut.«
Marlies Moser blättert in den Datenblättern des Anwesens ›Holsten‹, die Kopien der Grundbuchblätter, Bewohner, Elektrizität, Verkabelungen, Rohrsystem, Wasseranschlüsse, Zivilschutzanlage, Unterlagen der
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