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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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zogen übers Haus. Für einen Moment fiel Mondlicht durch das schräge Dachfenster und beleuchtete den Gang und die Treppe, die ins untere Stockwerk führte. Helen lief auf Zehenspitzen nach unten. Irgendwie kam ihr das absurd vor. Weshalb schlich sie durch ihr eigenes Haus? Frank schlief wie ein Murmeltier, und Dusty saß ohnehin draußen und kläffte sich die Seele aus dem Leib.
    An der Terrassentür schob sie den Vorhang beiseite. Sie sah die Umrisse des kleinen Jack Russel-Terriers neben dem Briefkasten.
Sein Schwanz zuckte unruhig auf und ab, während er die leere Straße ankläffte, die ins Ortszentrum führte.
    Helen öffnete die Terrassentür und trat barfuß ins Freie. Der Geruch von Jauche lag in der Luft. Gestern Abend hatten die Bauern die Felder gegenüber des Grundstücks gedüngt. Die Gerste würde heuer wie verrückt sprießen – und das bei ihrer Allergie. Helen stand auf den kalten Terrassenfliesen und sah sich um. Nichts. Der silberne Streifen des Morgens lag über dem Bergkamm und tauchte die Umgebung in Dämmerlicht. Sie schlüpfte in ihre Turnschuhe, die unter dem Campingtisch standen, lief über die Wiese und hockte sich neben Dusty ins Gras.
    »Sei still, alter Junge«, flüsterte sie und kraulte sein Fell.
    Der weiße Jack Russell mit den schwarzen Flecken um die Augen verstummte. Doch seine Ohren waren immer noch angelegt, und er starrte wie hypnotisiert die Straße hinunter zum Dorf, als lauerte dort eine schreckliche Gefahr im Dunkeln.
    »Was hast du gesehen?«, wisperte Helen. »Eine Katze? Einen bösen Marder?« Dusty war zu gut abgerichtet, als dass er davonlaufen würde. Sie blickte zum Briefkasten. Die Zeitung steckte noch nicht in der Box, also musste ihn etwas anderes aufgeregt haben.
    Kein Zaun umgrenzte das Grundstück. In Grießkirchen war das nicht nötig. Helen hatte die Villa von ihren Eltern geerbt. Ihr Vater war Bürgermeister gewesen. Sie war hier aufgewachsen und kannte jeden Grashalm und jeden Kieselstein. Grießkirchen lag etwa sieben Kilometer südwestlich von Wien und war ideal für Helens Job. Sie wollte nirgendwo anders als Psychotherapeutin arbeiten. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie die Villa renoviert und das bungalowartige Gästehaus zu einer Praxis umgebaut. Die Idylle dieses Orts wirkte sich beruhigend auf ihre Klienten aus, die nur die grauen Institute der Stadt kannten. Gegenüber der Villa lagen weite Gerstenfelder, und manchmal, so wie an diesem Morgen, wehte ein würziger Duft herüber. Helen liebte den Geruch, was man von Frank nicht behaupten konnte. Er war Staatsanwalt, hatte
in Wien gelebt und war vor zwei Jahren nur widerwillig in das Haus gezogen. Früher war er verständnisvoll gewesen, doch das hatte sich im Lauf der Zeit geändert.
    Helen strich dem Hund durchs Fell und sah hoch. In keinem der Nachbarhäuser brannte Licht. Grießkirchen lag still und friedlich da, von Bergen, Wäldern und Äckern umgeben. Dusty hatte sich mittlerweile beruhigt und hingelegt.
    Helen erhob sich. »Komm mit rein!«
    Dusty rührte sich nicht.
    »Du bekommst ein Leckerli!« Das funktionierte immer. Er sprang auf und lief wie ein junger Hund um ihre Beine. Als vom Ende der Straße ein Mofa heranknatterte, hielt er inne. Keine Minute später legte der Zeitungsjunge neben Helens Briefkasten eine Vollbremsung hin. Dusty beäugte das Moped, gab aber keinen Ton von sich.
    Der Junge schob das Visier hoch und blinzelte in die aufgehende Sonne. »Guten Morgen, Frau Doktor.«
    »Alex, du sollst mich nicht so nennen. Sag bitte Helen.«
    »Ja, Frau Berger.« Er grinste und reichte ihr die Zeitung.
    Helen seufzte. Sie hatte zwar Psychologie studiert, legte aber keinen Wert auf den Titel. Niemand in Grießkirchen nannte sie Frau Doktor. Frank war da anders. Der feine Herr Staatsanwalt war vierzehn Jahre älter als sie und trug seine Nase höher als andere – eine Eigenschaft, die sie ihm bisher nicht hatte abgewöhnen können. Sogar die Psychologie stieß manchmal an ihre Grenzen!
    Alex langte in die Jackentasche und warf Dusty einen Hundekuchen zu, den dieser im Flug schnappte. »Sie sehen hübsch aus.«
    »Danke, Alex, aber das stimmt nicht.« Sie musste lächerlich wirken, so zeitig am Morgen, in Turnschuhen und kurzem Morgenrock.
    »Doch«, widersprach er. »Die kurzen Haare stehen Ihnen ausgezeichnet.«
    »Danke. Gut beobachtet.« Frank hatte früher ebenso charmant mit ihr geflirtet, doch ihm war die neue Frisur nicht aufgefallen.
Kurze schwarze Haare passten besser zu

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