Todesgeil
Schmerz zuzufügen. Das lag ebenso klar auf der Hand wie ihre Schönheit. In seinem ganzen Leben war er noch nie so eingeschüchtert gewesen. Schon der Gedanke, irgendetwas zu tun, was ihre Wut anstachelte, machte ihm Angst.
Sie stellte die Leinentasche auf dem Boden ab.
Das Sonnenlicht reflektierte auf etwas Glitzerndem, das sie in der Hand hielt.
Rob runzelte die Stirn. »Handschellen?«
Sie langte hinüber, packte sein linkes Handgelenk, schlang einen der Metallringe darum und ließ ihn zuschnappen. Das andere Ende befestigte sie am Lenkrad. Mit offenem Mund starrte Rob auf seine gefesselte Hand.
Er blickte sie an. »Ist das wirklich notwendig?«
»Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der wohlüberlegte Einsatz von Einschränkungen ein effektives Mittel ist, damit Schwachköpfe wie du nicht aus der Reihe tanzen.«
»Das scheint mir doch ein bisschen übertrieben. Außerdem bin ich kein Schwachkopf.«
Rob legte den Gang ein und tippte das Gaspedal an. Der Wagen rollte von der Zapfsäule weg.
»Stop!«
Rob trat auf die Bremse und blickte sie an. Sie starrte wieder zum Parkplatz des Einkaufzentrums hinüber. Der Galaxie hielt am Rand des Kwik-Mart-Parkplatzes. Die Straße zwischen dem Einkaufszentrum und dem kleinen Laden war im Moment frei.
Er räusperte sich. »Ähem ... soll ich einfach da rüberfahren?«
»Nein. Warte!«
Sie warteten.
Mehrere Minuten verstrichen.
Ein Van fuhr vom Parkplatz des Einkaufszentrums und bog nach rechts in die Straße ein.
Die Kleine versetzte ihm einen Hieb gegen die Schulter. »Fahr’ dem verdammten Van nach.«
Rob starrte dem Van einen Moment lang hinterher, ehe er dem Befehl nachkam. Die Straße zwischen dem Einkaufszentrum und dem Kwik Mart war schmal, nur zweispurig. Darum hatte er, als sie abbogen, einen ziemlich guten Blick auf die Leute in dem Van erhascht. Mehrere junge Leute saßen darin, alle ungefähr im gleichen Alter wie seine Entführerin. Alle waren sie gut drei, vier Jahre jünger als er. College-Typen. Aber sie sahen kein bisschen wie diese Kleine aus. Sie wirkten ... na ja ... normal.
Er zögerte nur kurz, allerdings lange genug, um aufzufallen.
Er versuchte, sich einen harmlosen Grund vorzustellen, aus dem sie den Kids in dem Van folgen wollte.
Aber ihm fiel nichts ein.
Sie hielt die Pistole wieder in der Hand, drückte sie gegen eine Stelle an seinem Schenkel. »Das ist die Arterie in deinem Oberschenkel. Wenn ich da ’reinschieße, verblutest du, und zwar schnell.«
Rob trat auf das Gaspedal des Galaxie.
Lautes Gehupe ertönte, als der betagte Wagen auf die Straße hinausschoss. Rob ignorierte die darauf folgenden wütenden Gesten. Er riss das Lenkrad nach rechts und beeilte sich, den immer kleiner werdenden Van einzuholen.
KAPITEL 2
22. März
Sie konnte den Klang seiner Stimme nicht mehr ertragen. Im Ernst. So weit war es zwischen Zoe Martin und ihrem Freund Chuck Kirby seit dem Sommer vor der Oberstufe an der Smyrna High School gekommen. Jedes Mal, wenn er bloß den Mund aufmachte, bekam sie Kopfschmerzen. Er ging ihr fürchterlich auf die Nerven. Es spielte überhaupt keine Rolle, was er sagte. Oder worum es ging. Ganz gleich ob, er sich freute, lachte und Witze riss. Oder ob er wütend war und ihr Vorwürfe machte (obwohl Letzteres ziemlich selten vorkam). Er konnte ihr Komplimente machen, Dinge sagen, die das Herz eines jeden Mädchens zum Schmelzen bringen würden – sie fand ihn nur noch zum Kotzen.
Die Sache war einfach: Sie waren schon viel zu lange zusammen.
Mittlerweile über dreieinhalb, fast schon vier Jahre. Die Frühjahrsferien hatten begonnen, was bedeutete, dass der Sommer vor der Tür stand. Die Aussicht auf einen weiteren Jahrestag als Chucks Freundin verursachte bei ihr Gefühle von Verzweiflung und Angst. Manchmal spürte sie regelrecht, wie ihre Jugend verflog und langsam aber sicher in irgendeinem kosmischen Abfluss verschwand. Jeder Tag, der verging, war eine weitere verpasste Chance auf etwas Neues. Das machte sie so verdammt traurig. Vielleicht auch unreif. In den letzten Monaten hatte sie deshalb einige schlaflose Nächte gehabt, doch sie war dahintergekommen, dass ihre Gefühle echt waren. Dann war sie eben oberflächlich, na und? Sie war noch jung, erst in ein paar Monaten durfte man ihr Alkohol verkaufen, also durfte sie oberflächlich sein. Es war an der Zeit, endlich zuzugeben, dass sie unreif war, solange sie sich noch in einer Phase ihres Lebens befand, in der man das hinnehmen konnte. Noch zwei
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