Todeshunger
trocken, Lunge versengt. Warme Windböen. Wolkiger schwarzer Himmel über mir. Trübes Licht. Der Gestank von verbranntem Fleisch ist allgegenwärtig. Bin seit Stunden hier, mit dem Gesicht nach unten auf dem Asphalt.
Stapfende Schritte.
Jemand steht neben mir. Ein Soldat? Ruhig bleiben. Keine Bewegung.
»Hab einen«, ruft er; sein Gesicht ist hinter einer Gasmaske verborgen, die seine Stimme dämpft.
»Lohnt es sich, ihn mitzunehmen?«, ruft jemand zurück.
»Bin nicht sicher.«
Er tritt mir in den Magen, um zu sehen, ob er eine Reaktion bekommt. Luft entweicht aus mir. Ich schaue hoch, bewege mich aber nicht. Ich spüre, wie der Hass aufsteigt.
»Hat er noch zwei Arme und zwei Beine?«
»Ja.«
»Und atmet er?«
»Glaube ja.«
»Dann wirf ihn auf den Laster.«
Er bückt sich, packt mich an den Schultern und hebt mich hoch. Er zerrt mich über die Straße, meine Füße schleifen durch den Staub.
Muss versuchen zu kämpfen. Mehr habe ich nicht mehr. Alles andere ist verloren.
Mit letzter Kraft drücke ich die Beine durch und befreie mich. So fest ich kann, stoße ich den Soldaten weg. Da ich ihn damit überrasche, knallt er mit dem Gesicht voran gegen ein Autowrack. Ich wirble ihn herum und reiße ihm die Gasmaske herunter. Der Wichser soll wissen, wie sehr ich ihn hasse, wenn ich ihn töte.
Er schleudert mich rückwärts. Viel stärker als ich. Mein verletztes Knie gibt nach, ich stürze. Ich warte darauf, dass er angreift, doch er zieht mich wieder hoch.
Ist das das Ende? Tötet er mich jetzt?
Moment. Er ist wie ich. Einer von uns.
»Ganz ruhig, Tiger«, brummt er und stößt mich vorwärts. »Heb dir das für die Unveränderten auf.«
Zu müde, um Einwände zu erheben. Erleichterung, Wut und Schmerz beherrschen mich.
Er führt mich durch das Chaos auf der Schnellstraße, und schließlich hebt er mich hoch und wirft mich über die Schulter wie einen Kartoffelsack, als meine Beine erneut den Dienst versagen. Kann nicht kämpfen. Kann nicht reagieren.
Ich öffne die Augen und hebe den Kopf. Kann kaum etwas sehen. Mehr Soldaten mit Gasmasken, die allesamt
Leute hierherschleppen. Wir kommen zu einem Pritschenwagen, er hievt mich hinauf. Von oben packen Leute zu und helfen ihm. Ich rapple mich auf, dann sinke ich gegen das Seitenbrett des Wagens und ringe nach Luft. Staub und Dreck dringen schmerzhaft in meine Schnittwunden und Verbrennungen, aber ich bin zu müde, um mir deswegen Sorgen zu machen. Zu müde, den Schmerz zu spüren.
Leer.
Alles verloren.
Eine halbe Sekunde versuche ich, nach Ellis zu sehen, weiß aber, dass sie längst fort ist. Ich betrachte die Gesichter der anderen, die sich auf diesem Lastwagen drängen. Alle sind wie ich. Ausnahmslos Kämpfer. Keine Menschen mehr, nur Kämpfer. Wir alle werden für die Überreste von Ankins Armee oder eine andere, ähnliche Truppe rekrutiert.
Es war dumm von mir zu glauben, dass ich diesem Krieg aus dem Weg gehen, dass ich ihm mit Ellis den Rücken zuwenden könnte. Was von der Welt noch übrig ist, wird jetzt ausschließlich vom Hass beherrscht, und ich muss bereit sein, zu kämpfen und zu töten, bis auch der letzte Unveränderte vom Antlitz dieses Planeten getilgt wurde. Erst dann wird sich die Situation ändern.
Meine Tochter ist fort; ich habe sie schon lange, bevor ich sie gefunden habe, verloren. Jetzt bleibt mir nur noch der Hass.
Erschöpft schließe ich die Augen und lasse mich in die Dunkelheit sinken.
Muss ausruhen, mich erholen und bereit sein für alles, was noch kommen mag. Keine andere Wahl. Keine Option. Die schwersten Schlachten drohen riesig am Horizont.
Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Dog Blood« bei Thomas Dunne Books, an imprint of St. Martin’s Press, New York.
1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung November 2010
Copyright © der Originalausgabe 2010 by David Moody
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Dieses Werk wurde im Auftrag von
St. Martin’s Press, L.L.C. durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,
30827 Garbsen, vermittelt.
Umschlagmotiv: FinePic, München
Redaktion: Alexander Groß
NG · Herstellung: Str.
eISBN: 978-3-641-04013-0
www.goldmann-verlag.de
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