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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sie. Ihre kühle Hand. Ihre Tränen - Seine Mutter. Ihre ausgestreckten Hände - Er griff auch nach ihnen. In der einen Hand hielt er Jans, mit der anderen die Hände seiner Mutter. Er hatte sie berührt. Es war geschehen.
    Es dauerte solange, bis McVries ihm wieder den Arm um die Schultern legte. Grausamer McVries.
    »Laß mich los! Laß mich los!«
    »Mann, du mußt sie ja wirklich hassen!« brüllte McVries ihm ins Ohr. »Was willst du eigentlich? Daß sie mit deinem Blut an den Händen zusehen, wie du stirbst? Willst du das? Um Gottes willen, kommt jetzt mit mir!«
    Er kämpfte, aber McVries war stark. Vielleicht hatte er so-gar recht. Er sah Jan an und entdeckte jetzt eine besorgte Warnung in ihren geweiteten Augen. Seine Mutter machte eine wegschiebende Geste. Auf Jans Lippen las er wie eine Verdammung die Worte: Geh weiter! Geh weiter!
    Natürlich muß ich weitergehen, dichte er böse. Ich bin ja schließlich Maines Stolz. Und in diesem Augenblick haßte er sie. Obwohl er ja eigentlich nichts anderes getan hatte, als sie und seine Mutter in der Falle zu fangen, die er sich selbst gestellt hatte.
    Die dritte Warnung für McVries und ihn rollte wie Donner über den Lärm hinweg; die Menge wurde etwas ruhiger und starrte sie mit feuchten, gierigen Augen an. Panik stand jetzt in den Gesichtern von Jan und seiner Mutter. Seine Mutter schlug die Hände vors Gesicht, und die Geste erinnerte ihn an die wie aufgeregte Tauben flatternden Hände von Barkovitch, als er sich die eigene Kehle aufgerissen hatte.
    »Wenn du es schon tun mußt, dann mach es wenigstens erst hinter der nächsten Ecke, du Blödmann!« schrie McVries.
    Er fing an zu wimmern. McVries hatte ihn wieder einmal besiegt. McVries war unglaublich stark.
    »Also gut«, sagte er, unsicher, ob McVries ihn hören konnte, und fing wieder an zu gehen. »Ist gut, ist gut, laß meine Schulter los, bevor du mir das Schlüsselbein brichst.« Er schluchzte, bekam einen Schluckauf, wischte sich mit der Hand die Nase ab.
    McVries ließ ihn vorsichtig los, bereit, jederzeit wieder zuzugreifen.
    Fast als Nachspiel drehte er sich noch einmal um, aber die beiden waren wieder in der Masse verschwunden. Er würde diese Panik in ihren Augen niemals vergessen, dieser Blick, der sein Vertrauen und seine Sicherheit brutal zerstört hatte. Er erhaschte nur noch einen kurzen Gruß des wehenden, blauen Seidenschals.
    Er drehte sich nach vorn, ohne McVries anzusehen, und seine humpelnden, betrügerischen Füße trugen ihn aus der Stadt heraus.

    Tubbins war durchgedreht.
    Er war ein kleiner, untersetzter Junge mit einer Brille und lauter Sommersprossen im Gesicht. Seine weite Jeans hing ihm auf der Hüfte, und er mußte sie dauernd hochziehen. Er hatte bisher nicht viel gesagt, aber bevor er durchdrehte, war er ein ganz netter Kerl gewesen.
    »HURE!« brabbelte er in den Regen. Er hatte das Gesicht emporgehoben, und die Regentropfen fielen von seiner Brille auf seine Sommersprossen und rannen über seine Lippen an seinem stumpfen Kinn entlang. »DIE HURE VON BABYLON IST WIEDER UNTER UNS! SIE LIEGT AUF DER STRASSE UND SPREIZT IHRE BEINE IM SCHMUTZ DER GOSSE! ABSCHEULICH! ABSCHEULICH! NEHMT EUCH IN ACHT VOR DER HURE AUS BABYLON! VON IHREN LIPPEN TROPFT DER HONIG ABER IHR HERZ IST VOLL GALLE UND WERMUT -«
    »Und sie hat Tripper«, fügte Collie Parker müde hinzu. »Mein Gott, der ist ja schlimmer als Klingerman.« Er hob die Stimme. »Fall tot um, Tubby!«
    »HURENHÄNDLER UND ZUHÄLTER!« kreischte Tubbins. »ABSCHEULICH! UNREIN!«
    »Scheiß die Wand an!« murmelte Parker. »Wenn er nicht aufhört, bring ich ihn selbst um.« Er fuhr sich mit zittrigen, knochigen Fingern über die Lippen und brauchte fast eine halbe Minute dazu, die Klammer an seinem Gürtel, mit der die Feldflasche befestigt war, zu öffnen. Als er sie endlich an den Mund führen konnte, ließ er sie beinahe fallen und schüttete die Hälfte daneben. Er fing vor Schwäche an zu weinen.
    Es war drei Uhr nachmittags. Portland und Südportland lagen weit hinter ihnen. Vor ungefähr fünfzehn Minuten waren sie unter einer nassen, schlaff im Wind hängenden Fahne durchgegangen, auf die jemand geschrieben hatte, daß die New Hampshire Grenze nur noch 44 Meilen entfernt sei.
    Nur, dachte Garraty. Was für ein dummes, kleines Wort das doch war. Welchem Idioten war es nur eingefallen, daß sie dieses dumme, kleine Wort nötig hätten?
    Er ging neben McVries, aber der war seit Freeport ziemlich einsilbig geworden. Garraty

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