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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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den großen Highway genannt hatte. Groß oder klein, auf jeden Fall war es der letzte Highway. Die Zeiger seiner Uhr schienen ihm jetzt ins Gesicht zu springen. Die Innenstadt lag direkt vor ihnen. Woolman's war auf der rechten Seite. Er konnte das häßliche, rechteckige Gebäude mit der falschen Fassade schon sehen. Und wieder fiel eine Unmenge Konfetti auf sie herab, das durch den Regen matschig und klebrig auf der Straße liegen blieb. Die Menge wurde immer größer. Jemand hatte die Feuersirene eingeschaltet, und ihr Geheule vermischte sich mit Klingermans Schreien. Die beiden sangen ein alptraumhat tes Duett.
    Garratys Nerven waren zum Zerreißen gespannt, seine Adern fühlten sich an wie Kupferdrähte. Er konnte sein Herz klopfen hören, mal im Bauch, mal in seinem Hals, mal direkt zwischen den Augen. Zweihundert Meter. Jetzt riefen sie wieder seinen Namen - RAY-RAY-RAY -, aber er hatte noch kein bekanntes Gesicht entdeckt.
    Er lief auf die rechte Seite hinüber, bis er nur noch Zentimeter von den ausgestreckten Händen der Menge entfernt war. Als ein langer muskulöser Arm tatsächlich seinen Hemdsärmel zu fassen kriegte, sprang er erschrocken zurück, als hätte er Angst, in diese Dreschmaschine hineingerissen zu werden. Die Soldaten hoben die Gewehre, bereit, ihn sofort aus-zublasen, wenn er versuchen sollte, in der Menge unterzutauchen. Nur noch einhundert Meter bis zu Woolman's. Er konnte das große, braune Reklameschild sehen, aber kein Zeichen von Jan oder seiner Mutter. Gott, oh, Gott. Stebbins hatte doch recht gehabt - und selbst wenn sie hier wären, wie sollte er sie in dieser wogenden, nach ihm ausgreifenden Menschenmasse erkennen? Ein langer, zitternder Seufzer entfuhr ihm. Er stolperte und wäre fast über seine Füße gefallen. Stebbins hatte recht. Er wollte hier aufhören, keinen Schritt weitergehen. Die Enttäuschung, das Gefühl des Verlorenseins waren so groß, daß er zu taumeln anfing. Was sollte das Ganze? Was hatte es jetzt noch für eine Bedeutung?
    Das Geheul der Sirenen, das Gekreisch der Menge, Klingermans Schreie, der fallende Regen und in allem seine armen, gehetzten Gedanken, die aufgeregt durch, seinen Kopf flatterten und immer wieder blind an Mauern stießen.
    Ich kann nicht weitergehen. Kann nicht. Kann nicht. Kann nicht. Aber seine Füße stolperten vorwärts. Wo bin ich? Jan? Jan? JAN!
    Er sah sie. Sie winkte mit dem blauen Seidenschal, den er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Regentropfen glitzerten in ihren Haaren. Seine Mutter stand in ihrem schlichten, schwarzen Mantel neben ihr. Sie wurden von der dichten Menge zusammengequetscht und hilflos hin und hergeschoben. Über Jans Schulter grinste ihn das idiotische Auge einer Fernsehkamera an.
    Tief in seinem Inneren platzte eine große Wunde, und grünflüssiger Eiter überschwemmte ihn. Er brach in einen tänzelnden Galopp aus; seine geschwollenen Füße mit den nassen, zerfetzten Socken klatschten auf die Straße.
    »Jan! Jan!«
    Er konnte den Gedanken aber nicht die Worte hören. Die Kamera folgte ihm begeistert. Das Getöse der Menge war infernalisch. Er sah, wie ihre Lippen seinen Namen formten. Er mußte zu ihr, mußte sie - Ein Arm hielt ihn zurück. Es war McVries. Ein Soldat erteilte ihnen durch das unpersönliche Megaphon ihre erste Verwarnung.
    »Nicht in die Menge!« McVries hatte den Mund dicht an seinem Ohr und schrie, so laut er konnte. Ein messerscharfer Schmerz fuhr durch seinen Kopf.
    »Laß mich los!«
    »Ich lasse nicht zu, daß du dich umbringst, Ray!«
    «Laß mich, verdammt noch mal!«
    »Willst du in ihren Armen sterben? Willst du das?«
    Die Zeit flog davon. Jan weinte. Er konnte Tränen auf ihren Wagen sehen. Er wand sich aus McVries' Griff frei und rannte wieder auf sie zu. Ein hartes, ärgerliches Schluchzen stieg in ihm hoch. Er wollte schlafen. In ihren Armen würde er den Schlaf finden. Er liebte sie.
    Ray, ich liebe dich.
    Er konnte ihr die Worte von den Lippen ablesen.
    McVries blieb neben ihm. Die Fernsehkameras starrten auf sie herab. Jetzt sah er aus den Augenwinkeln, daß seine gesamte Highschool-Klasse anwesend war. Sie entrollte eine riesige Fahne, auf der sein eigenes Gesicht abgebildet war. Sein Jahrbuchfoto, das sie zu Godzillagröße aufgebauscht hatten. Er grinste also auf sich selbst herunter, als er heulend auf die Menge zustolperte, um Jan zu berühren.
    Ihre zweite Warnung plärrte wie Gottes Stimme durch das Megaphon.
    Jan - Sie streckte die Hand nach ihm aus. Er ergriff

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